Streikende begrüßen Streik-Ende

■ Gewerkschaften und Arbeitgeber beenden Streit um Ausgliederung von Redaktionen der „Sächsischen Zeitung“

Wir wären erfolgreicher gewesen, wenn sich viel mehr Mitarbeiter am Streik beteiligt hätten“, heißt es im Streikbüro

Dresden (taz) – Am 25. Streiktag bei der Sächsischen Zeitung lies sich Michael Kopp zum Philosophieren hinreißen: „Der beste Kompromiss ist der, mit dem keine der streitenden Seiten zufrieden sein kann“, erklärte der IG-Medien-Chef aus Sachsen gestern. Der 25. dürfte der letzte Streiktag gewesen sein. Gruner+Jahr-Sprecher Peter Casper Hamel: „Beide Seiten können stolz auf den ausgehandelten Kompromiss sein“, schließlich hätten beide Seiten ihr Ziel erreicht.

Am Wochenende hatten Gewerkschaften und Arbeitgeber den entscheidenden Durchbruch erzielt. Der Kompromiss sieht vor, den bestehenden Haustarifvertrag des Dresdner Druck- und Verlaghauses (DD+V) unbefristet auch auf die kürzlich in Regionalgesellschaften ausgegliederten sechs Lokalredaktionen auszuweiten. Für neu hinzukommende Mitarbeiter in den Regionalverlagen gilt der Tarifvertrag jedoch nicht. Zudem soll es bis zum 31. Januar 2001 keine weiteren Ausgliederungen von Lokalredaktionen geben.

Ein Ergebnis, das sich auch positiv auf die ganze Branche auswirken werde, so Michael Kopp: „Ausgliederungen können jetzt nicht mehr so ohne weiteres durchgezogen werden.“ Dresden habe Maßstäbe gesetzt und gezeigt, „dass man sich erfolgreich wehren kann“. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Hubert Engeroff, erklärte: „Erstmals ist es gelungen, für ausgegliederte Unternehmen im Medienbereich tarifliche Strukturen zu vereinbaren.“

Zufrieden zeigte sich auch DD+V-Geschäftsführer Mario Frank: „Aus unserer Sicht ist es gelungen, das Konzept der Neugliederung der Zeitung grundsätzlich aufrechtzuerhalten.“ Die seit dem 1. Dezember arbeitenden Regionalgesellschaften hätten durch den Kompromiss jetzt den Rücken frei, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen, sagte Frank. Er verwies zudem darauf, dass mit der Vereinbarung die ursprünglich von den Gewerkschaften angestrebte Verkürzung der Wochenarbeitszeit bis zum 30. Juni 2002 vom Tisch sei. Frank rechnete gestern damit, dass schon heute in allen Redaktionen wieder normal gearbeitet werde.

Davon ging auch das Streikbüro aus. Am frühen Nachmittag waren etwa 300 Mitarbeiter per Urabstimmung zur Zustimmung zu dem Kompromiss aufgerufen worden.

Unter den verbliebenen Streikenden ist der „Stolz“ auf den Kompromiss allerdings nicht sonderlich ausgeprägt. „Wir wären erfolgreicher gewesen, wenn sich viel mehr Mitarbeiter am Streik beteiligt hätten“, sagte Rainer Schulz vom Streikbüro in Dresden. Wichtigste Erfahrung des Nachrichtenredakteurs: „An den ersten beiden Tagen entscheidet sich, wie stark die Front ist, die man errichten kann.“

Nach DD+V-Angaben streikten zuletzt noch 130 Mitarbeiter der etwa 1.200 beim Verlag Beschäftigten. „Stellt euch vor, was wir erreicht hätten, wenn es 500 gewesen wären“, heißt es in der letzten Ausgabe der Streikzeitung.

Tatsächlich war das Erscheinen der Zeitung nie ernsthaft gefährdet, und zwar unter anderem auch deshalb nicht, weil Jungredakteure der Rhein Zeitung von ihrer Chefredaktion zum Streikbrechen nach Dresden geschickt worden waren. Schon Anfang Dezember hatte sich der DJV bei der Leitung des Mittelrhein-Verlages, dem die Rhein Zeitung gehört, über diese unsolidarische Praxis beschwert.

„Natürlich gab es enorme Qualitätseinbußen“, so Gruner+Jahr-Sprecher Hamel. Was Hamel als „Qualitätseinbußen“ bezeichnet, waren die teilweise kuriosen Folgen des Streiks.

Beispielsweise hätten Leser aus dem östlichen Sachsen besorgt in Dresden nachgefragt „ob es denn hier eine Epidemie gibt“, berichtet Hamel. Grund für die Verwirrung: Zittauer, Bautzener oder etwa Görlitzer Lokalseiten setzten sich zu großen Teilen aus Dresdner Todesanzeigen zusammen.

Nick Reimer