Neues Skandalobjekt der Sozialforschung?

Solange der normale Ausländer vielen Deutschen noch weitgehend unbekannt ist, bleiben Untersuchungen wie die von Christian Pfeiffer und Wilhelm Heitmeyer problematisch

Der junge Türke kommt in deutschen Untersuchungen bislang als Gewalttäter oder Fundamentalist vor

Was wissen wir über Jugendliche, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland eingewandert sind? Widersprüchliche Erkenntnisse liegen vor: Einerseits haben viele keinen Schulabschluss, andererseits sind aber auch viele besonders qualifiziert. Während die einen nach der Schule arbeitslos sind, werden die anderen Unternehmer. Extreme Erfolge und Misserfolge sind bei Jugendlichen aus Migrationsfamilien offensichtlich häufiger als in der deutschen Vergleichsgruppe.

Aber was ist mit dem unauffälligen Durchschnitt? Was machen die Türken und Türkinnen in der dritten Generation, die weder arbeitslos noch erfolgreich sind? Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Köln unter Leitung von Wolf Bukow möchte dies herausfinden. Das Besondere daran: Die Normalität des Multikulturellen.

„Wie langweilig“, mag der interessierte Deutsche denken, „endlich“, wird sich der junge Türke sagen. Denn der kommt in den Untersuchungen bisher entweder als Gewalttäter oder als Fundamentalist vor. Ein Beispiel dafür ist die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover zur überdurchschnittlich hohen Gewaltbereitschaft junger männlicher Türken. Warum das so ist, kann in der Untersuchung noch nicht ausreichend beantwortet werden. Die Vermutung, dass auch die türkischen Eltern häufiger Gewalt anwenden, scheint begründet zu sein. Leider legt die Studie aber auch nahe, dass diese familiäre Gewalt ein kulturspezifisches Gut ist und von Einwandererfamilien nach Deutschland importiert wird. Wenig wird dabei auf die sozialen Verhältnisse der Familien eingegangen und noch weniger auf mögliche Auslöser hier bei uns in der deutschen Gesellschaft, wo diese Jugendlichen aufwachsen. Was hängen bleibt, ist die Angst vor dem Unbekannten.

In so eine Stimmung passt auch die Warnung der 1997 erstellten Studie von Wilhelm Heitmeyer, dass sich muslimische Jugendliche wieder mehr für ihre Religion interessieren und in Moscheen organisieren. Solange der durchschnittliche Bundesdeutsche nicht weiß, was sich hinter den Mauern einer Moschee abspielt, genügen einige Hinweise auf mögliche Frustrations- und Abschottungstendenzen, um das vage Bild des Fundamentalisten zu verfestigen. Und das führt in der Regel nicht zu verständnisvollem Zusammenleben.

Doch was wäre, wenn es solche Untersuchungen nicht gäbe? In der deutschen Gesellschaft würde noch weniger über Integrationshürden gesprochen. Denn Ausländer in Deutschland sind noch immer kein Thema, für das sich breite Teile der Bevölkerung interessieren würden – es sei denn, sie werden skandalisiert. Dabei wird ignoriert, dass Jugendliche hier bei uns lernen, gewalttätig zu werden. Und dass es daher unsere Aufgabe ist, die Ursachen zu erforschen und ernst zu nehmen. Für eine zufrieden stellende Erklärung wird es nicht ausreichen, sich nur die Extremgruppen anzusehen. Dazu brauchen wir auch die „Normalen“, die Durchschnittlichen, die in Köln jetzt untersucht werden sollen. Deren Lebensweg kann erklären, welche Hindernisse zu bewältigen sind, um seinen Platz in dieser Gesellschaft zu verteidigen.

Aydan ÖzoguzDie Autorin ist Leiterin der deutsch-türkischen Projekte der Körber-Stiftung in Hamburg