Reporter ohne Dilemma

■ Eine Sekte ist das Lieblingskind westlicher Medien in China. Doch die Solidarität der „New York Times“ weckt auch Kritik

Peking (taz) – Wo vor zweieinhalb Jahren der britische Kronprinz Charles und der chinesischen Präsident Jiang Zemin die Rückgabe Hongkongs an China zelebriert hatten, da wehten in den vergangenen Tagen gelbe Fahnen mit buddhistischen Hakenkreuzen: Fünf Monate nach dem Verbot ihrer Aktivitäten in der Volksrepublik hielt die fundamentalistische Falun-Gong-Sekte im Konferenzzentrum am Hongkonger Hafen eine Großveranstaltung ab.

Falun Gong ist vor allem für westliche Medien interessant, denn sie erscheint als harmloser David im Kampf mit den chinesischen Kommunisten. Seit dem Sommer berichten ausländische Korrespondenten in Peking über kaum ein anderes Thema so ausführlich: Wie sich Anhänger der Sekte vom Tiananmenplatz tragen lassen, wie Gläubige verhaftet und misshandelt werden, und wie Guru Li Hongzhi aus seinem Exil in New York die Aktionen seiner Getreuen rechtfertigt – all das macht im Westen fast täglich Schlagzeilen. Nicht erwähnt wird dabei in aller Regel der fundamentalistische und zum Teil rassistische Glauben der Sekte.

Falun Gong bietet alte Weisheiten aus den chinesischen Klassikern an, mischt sie mit einem seherischen Kosmosglauben und erfindet dazu Meditationsübungen, mit denen ihre Anhänger sich von den Sünden dieser Erde befreien, um in ihrem nächsten Leben eine höhere Existenzstufe zu erreichen. Daneben betrachten viele Sektenmitglieder Homosexuelle und Mischlinge als heilungsunfähig und glauben an das frühe Aussterben dieser Randgruppen.

Doch nicht allein der Glaubenscharakter der Sekte macht die Falun-Gong-Berichterstattung zum derzeit heiß umstrittenen Gegenstand unter westlichen Korrespondenten in Peking. Der Streit dreht sich außerdem um den schützenden Umgang mit den religiös Verfolgten. In einem offenen Brief hat jetzt der China-Korrespondent des niederländischen NRC Handelsblad, Floris-Jan van Luyn, dem Kollegen der New York Times, Erik Eckholm, vorgeworfen, mit seiner Berichterstattung zur Verhaftung einzelner Sektenmitglieder beigetragen zu haben.

Eckholm hatte am 29. Oktober auf der Titelseite seiner Zeitung von einer „wagemutigen, geheimen Pressekonferenz“ berichtet, während der Sektenmitglieder, die der Autor namentlich zitiert, ausländische Hilfe forderten. Van Luyn bezichtigte daraufhin Eckholm, die wenige Tage später erfolgte Festnahme der genannten Mitglieder ausgelöst zu haben, und verlangte eine Berichterstattung, die „Risiko, Notwendigkeit und Effektivität völliger Offenheit“ im China-Journalismus vernünftiger abwäge.

Die ebenfalls in einem offenen Brief formulierte Rechfertigung Eckholms liest sich allerdings wie das seltene Geständnis eines amerikanischen Star-Reporters, der so eingenommen ist von der Macht seines Berufs, dass er nicht einmal das Dilemma erkennt, in dem er sich befindet.

„Allen im Raum war klar, dass dies eine gefährliche Veranstaltung war“, schrieb Eckholm über die umstrittene Pressekonferenz in seiner Erwiderung. „Aber aus Sicht von Falun Gong war die Strategie intelligent und erfolgreich. Damit gelangte die Gruppe in die Hauptnachrichten in aller Welt. Die Veranstaltung wäre lange nicht so effektiv gewesen, wenn niemand die richtigen Namen erwähnt hätte. Deshalb stand ich nicht vor einem Dilemma. Auch wenn das nicht bedeutet, dass ich nicht den Schlaf verliere, wenn jemand in Schwierigkeiten gerät, weil er mit mir gesprochen hat.“

Echholms Brief dokumentiert die Ratio eines westlichen China-Reporters, der sich ausschließlich an den Werten seiner heimischen Medienwelt orientiert. Erfolgreich ist für ihn, was im Westen Aufsehen erregt. Und im Zweifelsfall opfert der Journalist für seinen eigenen Erfolg sogar den Schlaf. Aber das erscheint Eckholm immer noch besser, als die Namen der Gefährdeten zurückzuhalten.

Der Streit mit der New York Times ist nicht neu. Schon Anfang der Neunzigerjahre lagen die mit ihrem Bestseller „China erwacht“ berühmt gewordenen New-York-Times-Korrespondenten Nicholas Kristof und Sheryl Wudunn im Clinch mit Kollegen, die ihre Berichterstattungsmethoden als rücksichtlos empfanden, weil sie chinesische Regierungskritiker zu Helden des westlichen Publikums machten – was denen letztlich nur Schwierigkeiten einbrachte.

Einen Ausweg aus dem Dilemma aber gibt es trotzdem: „Ich verstehe in solchen Fällen immer die Namen falsch“, sagt eine mit Dissidentenbewegungen vertraute osteuropäische Journalistin in Peking: „Wen stört es im Westen, ob einer Wang oder Zhang heißt?“Georg Blume