Nestlés Erfolgsrezepte in Pakistan

■ Ehemaliger Babynahrungsvertreter wirft dem Konzern aggressive Vermarktung von Milchpulver vor – trotz Verbots. Nestlé: Dieser Mitarbeiter wollte uns erpressen

Berlin (taz) – „Ich wende mich an Sie, da Nestle so viel für die Patienten in Pakistan tut“ – so oder so ähnlich begannen viele der Anfragen, die bei seinem Job zur Tagesordnung gehörten, erzählt Syed Aamar Raza. Der Pakistani hat von 1994 bis 1996 als „Ärztebesucher“ für den Nestlé-Konzern in Pakistan gearbeitet. „Ich bitte Sie also um Hilfe beim Kauf einer Klimaanlage für meine Praxis und für meine Wohnung“, schrieb der Kunde weiter. Razas Aufgabe war es dann, den Deal perfekt zu machen: Der Nestlé-Konzern steuert rund 5.000 Dollar zum besseren Klima in der Arztpraxis bei, der Arzt verpflichtet sich im Gegenzug, ein halbes Jahr lang seinen Patientinnen nur bestimmte Nestle-Produkte zu verschreiben. Seine Patientinnen – das sind vor allem schwangere Frauen und junge Mütter. Die Nestle-Produkte: Milchpulver und Instantbreie.

Raza kündigte seinen Job, als er eine vom Konzern verfasste Charta in die Hand bekam: „Was da behauptet wird, stimmt zum großen Teil nicht.“ In der Charta heißt es etwa, dass Nestle die Mütter zum Stillen ermuntert, weil das „die beste Wahl für ein Neugeborenes“ sei. Als Vertreter habe er jedoch das Gegenteil getan: Baby-Shows organisiert, bei denen Nestlé-Milch als die beste propagiert wurde. Kinderärzten Bestechungsgelder gezahlt, damit sie kostenlose Proben von Milchpulver verteilen. „Auf unseren Kundenkarten haben wir grundsätzlich Geburtstag und Hochzeitstag notiert – da gab es dann Geschenke von Nestlé“, erzählt Raza. Innerhalb von vier Jahren konnte Nestlé den Umsatz in Pakistan verdoppeln.

Wenn ein Baby nicht gestillt wird, erhöht sich die Gefahr, dass es an einer Infektion stirbt, um das 25fache – so eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Fläschchen werden oft mit unsauberem Wasser zubereitet, nicht ausgekocht, kosten Geld und machen die Mutter vom Kauf der teuren Instant-Produkte abhängig. Die WHO hat deshalb einen Kodex verabschiedet, nach dem es verboten ist, für das Füttern mit der Flasche zu werben – sei es durch „idealisierende Fotos“ oder durch kostenlose Proben. Vielmehr muss auf allen Packungen auf die Vorteile des Stillens hingewiesen werden. „Dieser Kodex wird von Nestlé kontinuierlich verletzt“, kritisiert Andreas Adelberger von der „Aktionsgruppe Babynahrung“.

Raza hat nach eigenen Angaben den Nestlé-Konzern in einem Schreiben auf die Verletzung der WHO-Konvention hingewiesen. Daraufhin sei er massiv unter Druck gesetzt worden, mit seiner Geschichte nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. „Man gab mir zu verstehen, es gäbe genügend Verbrecher, die bereit wären, gegen Geld meiner Familie Schaden zu zufügen“, so Raza.

Der Nestlé-Konzern streitet alle Vorwürfe „rundweg und kategorisch“ ab, kommentierte Pressesprecher François Perroud gestern. Vielmehr habe Raza selbst gegen die WHO-Konvention verstoßen, indem er – gegen die Vorgabe des Konzerns – auf eigene Faust Produktproben verteilt habe. Zudem habe Raza sechs Monate nach seiner Kündigung – „er ist von selbst gegangen, wir haben ihn nicht rausgeworfen“ – versucht, Nestlé um 60.000 Dollar zu erpressen. Katharina Koufen