■ Mit der WTO-Reaktion auf Du und Du
: Schadenfreude in Indien

Delhi (taz) – Schadenfreude und Enttäuschung kennzeichnen die Reaktion Indiens auf den Verhandlungsabbruch in Seattle. Das Vorgehen des Gastgeberlandes USA, das mit seiner Hinterkammer-Taktik des „Green Room“ die demokratische Meinungsbildung der 135 Mitglieder austricksen wollte, habe Schiffbruch erlitten, erklärte ein Vertreter des Industrieverbands CII. Und die Scheinheiligkeit von Präsident Clintons Freihandelsmantra wurde entböößt, als er die Muskelkraft der amerikanischen Gewerkschaften begrüßte, welche zum Schutz amerikanischer Arbeitsplätze neue Handelsbarrieren forderten, kommentierte die Zeitung Indian Express. Die indische Delegation argwöhnte hinter der Forderung nach Sozial- und Umweltstandards neuen Protektionismus.

Die Schadenfreude war besonders bei der Linken und der nationalistischen Rechten zu spüren, die in der Globalisierung ohnehin ein neokoloniales Instrument der Industrieländer sehen. Die Regierung schloss sich dieser Sichtweise nicht an, obwohl auch sie sich gegen eine neue Verhandlungsrunde sträubt und zuerst eine Durchsetzung und Anpassung der Uruguay-Beschlüsse fordert. Premierminister A. B. Vajpayee bedauerte den Misserfolg von Seattle und forderte eine rasche Wiederaufnahme der Gespräche. Delhi hat sich inzwischen zu der Einsicht durchgerungen, dass ein offenes Welthandelsregime gerade Neueintretenden mehr Vor- als Nachteile bringt.

Auch die Demonstrationen in den Straßen von Seattle wurden hier mit einer Mischung von Schadenfreude und Misstrauen registriert. Obwohl sich viele NGOs für die Interessen der Entwicklungsländer in die Bresche schlugen, hielt sich der Verdacht, dass sie von der Polizei toleriert wurden, weil sie den USA zupass kamen. Indiens Delegationsleiter, Handelsminister Maran, offerierte seinen Gastgebern Entwicklungshilfe in Form „von Beamten mit Erfahrung in 'crowd control‘ “.

Am Ende waren aber auch die indischen Kommentatoren hin- und hergerissen zwischen den widersprüchlichen Rauchzeichen aus Seattle. Sie widersprachen den Klagen aus EU-Kreisen über das mittelalterliche Beschlussverfahren der WTO. Anderseits anerkannten sie, dass sich die vielfältig überschneidenden Interessen von 135 Mitgliedsländern nicht in einfachen Mehrheitsbeschlüssen einlösen lassen. Sie wehren sich gegen eine „WTO-Superregierung“, andererseits fordern sie, wie die Tageszeitung The Hindu, ein „Regime mit Zähnen“, das den Agrarprotektionismus der EU einreißt. Bernard Imhasly