Die dickste Ente

Warum Hitler die Briten mochte und Nato-Generäle Kutteln à la Wilhelm II. verspeisen. Konrad Kujau, Deutschlands berühmtester Fälscher, weiß das Volk zu unterhalten  ■   Von Uta Andresen

Der Fälscher über den Fälscher: „Ich hab geglaubt, dass ich ein Surrealist bin. Es macht ja soviel Laune, die Leute aufs Kreuz zu legen.“

Diese Geschichte kann stimmen – vielleicht aber auch nicht: Damals, erzählt Konrad Kujau, als der Kujau noch in Stuttgart an der Kunstakademie studierte und abends die Pfanne bei dem Leibkoch von Ibn Saud polierte, damals, in den Fünfzigern, da hatte der Kujau noch Ziele. „Ich hab geglaubt, dass ich ein Surrealist werde“, sagt Konrad Kujau. Er ist einer geworden, in einem gewissen Sinne zumindest. Surrealist – ein Darsteller jenseits von Realität, ein Darsteller in eigener Sache.

Eine Künstlerkolonie à la Worpswede ist das hier nicht gerade. Immerhin, Ditzum, das Fischerdorf an der Ems zwischen Emden und Leer, hat die Galerie „Park“, die Horst-Janssen-Drucke verkauft, und Herrn Raabe, der eine Eulenstudie zeichnet für den niedersächsischen Landesbuchverlag. Ansonsten gibt es hier Andenkenläden mit ostfriesischen Teemischungen, Seemannspullovern und Elbseglern.

Nun hielt dieser Tage die hohe Kunst in Ditzum Einzug. Seither sagen die einen: „Der ist ja fünf Künstler in einem.“ Und die anderen: „Als die gemerkt haben, was der da in ihrer Kirche gemacht hat, war es schon zu spät. Da konnten die das nicht mehr von der Decke kratzen.“ Und im örtlichen Bekanntmachungskasten ist zu lesen: „3. Ditzumer Kunsttage. Attraktion: Eigene Kunst und die Kunst der Fälschung von und mit Konrad Kujau mit freundlicher Unterstützung der Sparkasse Leer-Weener.“ Daneben die Termine für die Abholung des Sperrmülls. Und das Fernsehen ist auch da.

Na also.

Die freundliche Unterstützung der Sparkasse besteht vor allem darin, ihre ehemaligen Kassenräume für die Ausstellung Kujauscher Cézannes, Rembrandts, Klimts, Van Goghs und Zilles zur Verfügung gestellt zu haben. „Wo war denn hier der Tresor?“, fragt Konrad Kujau und blickt in die Runde. Man lacht, dann ist es ja gut. Dann kann er ja weitermachen. Also erklärt er, dass „die Mädchen“, womit er seine Tochter und seine Galeristin meint, den Ausstellungsort hier ausgewählt hätten – und die Bilder auch. Er patscht mit der flachen Hand gegen eine Leinwand – ein Segelschiff, ertränkt in Öl, schwankt bedenklich, und die Sperrholzwand, mühsam mit knatschblauem Tuch bespannt, gleich mit. Hier geht es nicht um Kunst. Hier geht es um Kujau.

Konrad Kujau. Der Mann, der der Bundesrepublik ihren bislang größten Geschichtsbetrug bescherte. Der Mann, der dem Stern die bislang dickste Ente verkaufte – 9,34 Millionen schwer –, die in der hiesigen Presselandschaft dümpelte. Der Mann, der Hitlers Tagebücher lieferte. Man könnte auch sagen, was hier in Ditzum jeder sagt – außer der Galeristin, die „Herr Kujau“ sagt:

Der Fälscher.

Konrad Kujau. Die Augen dunkel, flink. Das Gesicht – in dieser Masse ertrinkt jegliche Mimik. Der Bauch – der Bulle von Bad Tölz ist nichts dagegen. Konrad Kujau hat mächtig zugelegt, seit Anfang der Achtziger. Seitdem er anfing, das Tagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht mit den Aussagen von Theo Morell und Hugo Blaschke, den Leibärzten Adolf Hitlers, und unzähligen Details, die er seiner 596-bändigen Nazi-Bibliothek entnahm, miteinander zu kombinieren. Und daraus Memoranden puzzelte wie „Leide immer mehr an Schlaflosigkeit, die Verdauungsstörungen sind noch schlimmer geworden“, die der Stern am 28. April 1983 dann als Weltsensation veröffentlichte. Des Führers persönliche Einlassungen.

Ja, der Führer. Konrad Kujau sagt nicht, er habe Hitlers Tagebücher gefälscht. Konrad Kujau sagt: „Ich habe den Tagesablauf des Adolf Hitler koordiniert.“ Konrad Kujau sagt nicht, dass er diesem Tagesablauf eigenwillige Interpretationen hinzugefügt hat. Etwa die, dass Kujaus Führer dem Reichsführer SS Heinrich Himmler nach dem Einmarsch in Polen im September 1939 die Anweisung gegeben haben will, „keine Repressalien gegenüber der Bevölkerung durchzuführen“ (Stern). Vergeltungsmaßnahmen, Massenmorde – davon will Kujaus Führer nichts gewusst haben. Konrad Kujau sagt: „Der war doch auch nur ein Mensch.“ Wenn das der Führer wüsste.

Der Mann vom NDR, das Ehepaar im Windjacken-Partnerlook, die beiden Männer mit blauen Mützen und grauen Bärten: in Ditzums einstiger Sparkasse gibt es nur ein Thema: Hitler, Hitler, Hitler. Die Menschen fragen, und Konrad Kujau antwortet. Nur dass Konrad Kujaus Antworten stets Anekdoten sind.

Etwa die: „Die Truppen vor Dünkirchen. Warum habe ich jetzt Stopp gesagt?“ Was für eine Frage. Adolf Hitler befiehlt den deutschen Panzern am 24. Mai 1940 fünfzehn Kilometer vor Dünkirchen zu stoppen, so dass die in Flandern eingeschlossenen französischen und britischen Soldaten nach England evakuiert werden können. Damit gilt – aus heutiger Sicht – der Zweite Weltkrieg als verloren. Tja. Warum hat Hitler stopp gesagt? Ratlosigkeit bei den Sparkassenbesuchern. Triumph in Kujaus Stimme: „Die Briten sind ja unser Vetternvolk!“ Donnerwetter. Eine historische Kontroverse mal locker mit einem Wort beendet. Vetternvolk. Warum eigentlich nicht? Der Hitler mochte also die Briten, waren ja auch nordisch, irgendwie.

Noch eine Anekdote gefällig? Dann die: „1941. Das Julfest. Das verbringe ich bei der Leibstandarte an der Ostfront“, sagt Konrad Kujau, jeder Satz ein führerisches Stakkato. Zwei Jahre und drei Monate nichts anderes als Görings Akten, Goebbels' Tagebücher, Heims Tischgespräche. Da kann das schon mal passieren, das mit dem „ich“ und dem „er“.

Eine Sauarbeit sei das gewesen, die Schreiberei, sagt Konrad Kujau. Warum dann das Ganze? „Es wurde verlangt.“ Falsch. Es wird verlangt. Immer wieder. Das Bedürfnis, Menschliches über das Monster Hitler zu hören, scheint ungebrochen. Das wird verlangt, und das wird bedient. Von Konrad Kujau. Gern mündlich, auch vor Mikrofon, und vor der Kamera allemal. Ob es ihn langweilt? „Na ja“, sagt Konrad Kujau. Wer weiß das schon? Er selbst jedenfalls nicht so genau. Und es spielt auch keine Rolle. Es geht doch um die Anekdote, um jene, ohne die es auch alle anderen nicht gegeben hätte. Nicht die von dem gut gehenden Restaurant in Stuttgart, nicht die vom Kandidaten Kujau im Stuttgarter Oberbürgermeisterwahlkampf, nicht die von den beinahe gefälschten Memoiren Erich Honeckers.

„Es macht ja soviel Laune, die Leute aufs Kreuz zu legen“, sagt Konrad Kujau. Das Fälschen war schon eine „Gaudi“. Und erst der Tagebücher-Prozess. Da sagte doch der Vorsitzende Richter, dass der wahrscheinlich beste Gutachter für Schriften ja nun leider auf der Anklagebank sitze und nicht mehr zu Rate gezogen werden könne. Und mit dem einstigen Herausgeber des Stern, dem berühmten Henri Nannen, mit dem habe er sich auch prima verstanden. Und dann sagte doch noch der Staatsanwalt zu seiner, Kujaus, Frau: „Ihr Mann muss unheimlich fleißig gewesen sein und sehr, sehr belesen.“

Fleißig, ja. Konrad Kujau zeigt zwischen seinen Fälschungen ein paar echte Kujaus – Hühnerhof, Stilleben mit Pfirsich, Landschaft. Kujau mag es altmeisterlich, in Öl. „Die jungen Leute heute, die wollen das ja nicht mehr. Die mögen das nicht, das Akribische, das Feine.“ Die würden wohl auch so etwas wie den Hitler nicht hinbekommen.

Die Sonnenblumen des Van Gogh verlieren die Blätter, die Judith II des düsteren Klimt leuchtet vor Farbe. An Kujaus Handgelenk prunkt eine goldene Uhr mit Brillanten. In seinem Restaurant bietet Kujau montags gern „etwas Exquisites“ an, Verlorene Eier in Senfsoße etwa. Dick aufgetragen, so mag es der Kujau. Dass dabei die Harmonie der Zutaten bisweilen leidet – wen stört das schon?

Es war im Sommer 1994. Da wollte Konrad Kujau Landrat von Löbau in Sachsen werden. Falsch. Nicht er wollte werden. „Das Volk wollte Kujau“, sagt Kujau. Aber „die alten Schnepfen“ vom Amt wussten das zu verhindern. Sicher ist: Konrad Kujau wurde am 27. Juni 1938 in Löbau geboren. Was dann folgt, ist nicht mehr sicher.

Ging Konrad Kujau auf die Volksschule? Oder war es die Oberschule? Begann Konrad Kujau eine Lehre als Bauschlosser? Oder studierte er Kunstgeschichte in Dresden? War Konrad Kujau nach seiner Flucht aus der DDR Flaschenabfüller bei Sinalco in Stuttgart? Oder polierte er die Pfannen bei dem Leibkoch von Ibn Saud? Handelte Konrad Kujau mit Nazi-Orden, SS-Uniformen und Hitler-Devotionalien? Oder hatte er nie Kontakt mit Rechten? Hatte Konrad Kujau die Tagebücher für den Stern geschrieben? Oder hat er für Hitler Tagebuch geführt, weil der Reporter Gerd Heidemann die Schriften brauchte, um Hitlers längst verstorbenen Sekretär Martin Bormann endlich der Öffentlichkeit als lebendig präsentieren zu können? Hat der Brite Robert Harris den Roman „Vaterland“ geschrieben, in dem er dem Nationalsozialismus zum Endsieg verhalf? Oder war es Konrad Kujau, dem die Manuskripte in der Hamburger Haft von einer perfiden jüdischen Journalistin gestohlen wurden? Sicher ist dies alles nicht, unterhaltsam allemal.

So unterhaltsam wie eine Show mit Karl Dall, nach der der Kujau und der Dall gern „een schlucke“, oder die Eröffnung des Weimarer Gartenhauses diesen Herbst. Da will der Kujau den anwesenden Ministern glaubhaft gemacht haben, dass seine Galeristin „die Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin“ von Goethe sei. „Das Volk will unterhalten werden“, sagt Konrad Kujau. Ob das Volk in Weimar oder das in Ditzum, lässt er offen.

Das Volk will unterhalten werden. Eine Fälschung von Picasso? Oder Hitler? Kein Problem. „Der eine war Expressionist, der andere Realist“, sagt Konrad Kujau. War Hitler nicht auch Kunstmaler? Genauso wie Picasso? Und Kujau? Wo es keinen Unterschied gibt, kann es auch kein Tabu geben.

Das Volk will unterhalten werden. Angenommen, Konrad Kujau würde die Ernennungsurkunde des Konrad Kujau zum Bundeskanzler fälschen. Dann würde er, der Kanzler, für „unlautere, volksfremde Beamte die Prügelstrafe“ einführen, die „Heinis“ aus dem Parlament nach Hause schicken, die Wehrmachtsausstellung „säubern“ und nicht in die USA gehen lassen („Sollen die doch ihren eigenen Dreck vor der Tür wegkehren!“), er würde etwas gegen die „Scheinasylanten“ unternehmen, und der Autofahrer wäre nicht mehr „das Stiefkind der Nation“. Alles in allem würde Konrad Kujau die „Demokratische Deutsche Volkspartei“ gründen. Das wäre mal eine Unterhaltung fürs Volk.

Letzte Woche beim Fernsehen in Baden-Baden, Anfang Dezember eine neue Galerie in Berlin, im Frühjahr die Einweihung der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin – Konrad Kujau ist begehrt und Konrad Kujau kennt sie alle: die Nato-Generäle, die in seinem Restaurant Kutteln à la Wilhelm II. essen, die Minister, die sich ihn zur abendlichen Unterhaltung ins schwäbische Schlössle einladen, die Redakteure der Bild, die seine Kumpel sind, oder die Fotografen des Figaro, mit denen er arbeitet, und die Leute vom SWR, mit denen er „Fernsehen macht“.

Draußen stoppt der Bäckereiwagen, die Fahrerin steigt aus. „Schon gehört, der Kujau, der Fälscher ist da?“

Drinnen jauchzt es: „Hach, des is scho gut.“

Kujau, bekannt als der Fälscher. Die Tat zum Subjekt geronnen. Tut da etwas weh?

„Aber warum denn?“, fragt Konrad Kujau.

Ja, warum auch? Schließlich geht es ja nur um das eine: bekannt zu sein.