■ Nebensachen aus Madrid
: Generationenkonflikt? Danke, viel zu stressig

Spaniens Jugend geht es so gut wie noch nie. 82 Prozent der jungen Leute sind heute mit ihrem Leben rundherum zufrieden. Das zeigt eine Umfrage, die von der katholischen Stiftung Santa Maria alle fünf Jahre durchgeführt wird.

Was ist den Befragten dabei am wichtigsten? Die Arbeit, das Studium, Auto oder Motorrad, Freund oder Freundin? Weit gefehlt. 70,2 Prozent der 15- bis 25-Jährigen antworten ohne zu zögern: Die Familie. Dort und nicht etwa im Freundeskreis würden die interessantesten Gespräche geführt. Wen wundert es da, dass nicht einmal 10 Prozent im Alter unter 25 von zu Hause ausziehen? Die Spanier sind damit zusammen mit den Italienern die Nesthäkchen der Europäischen Union. Nicht etwa wegen der Wohnungsnot, sondern weil es zu Hause so gemütlich ist. Das gab über die Hälfte der Befragten unumwunden zu.

Zwei Drittel behaupten, von ihren Eltern alles zu bekommen, um das sie bitten. Die Eltern seien sehr tolerant und sehr spendabel. Generationenkonflikt ist für die heutige Jugend ein Fremdwort. 44 Prozent kommen nach vier Uhr morgens von den nächtlichen Zech- und Rauchtouren zurück. Finanziert wird das vergnügliche Leben mit dem meist üppig ausfallenden Taschengeld. Nur ein Drittel gibt an, gelegentlich schon gejobbt zu haben. Und trotz fehlender staatlicher Unterstützung während der Studienzeit arbeiten nur 6 Prozent der Studenten regelmäßig.

Mit der dank Mamas Haushaltskünsten gewonnenen Zeit wissen die Jugendlichen selbstverständlich umzugehen. 97,2 Prozent treffen sich regelmäßig mit Freunden. 88,8 Prozent frequentieren dabei Kneipen und Cafes. 65 Prozent der 15- bis 25-Jährigen bezeichnen sich selbst als gewohnheitsmäßige Alkoholkonsumenten.

Natürlich wissen die Kids auch, was eine politisch korrekte Antwort auf die Frage nach der Freizeitbeschäftigung ist. 52 Prozent finden es toll, sich in einer Nichtregierungsorganisation zu engagieren. So weit der Anspruch. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Nur ganze 9 Prozent tauschen die traute Stube oder Kneipe tatsächlich gegen unbezahlte Arbeit ein. Über 70 Prozent der spanischen Jugendlichen gehören nicht einmal einem Verein oder Verband an. Sie bilden damit das Schlusslicht in Europa.

Das Motto lautet scheinbar: Nur keinen Stress. Weder in der Freizeit noch bei der Ausbildung. In einem Studienjahr mit 680 Unterrichtsstunden verbringt der durchschnittliche Student 315 in der Cafeteria, das macht täglich eine Stunde und 42 Minuten. Die Zeit, die so während eines fünfjährigen Hochschulstudiums am Tresen verbracht wird, würde ausreichen, um ein dreijähriges Zweitstudium an einer Fachhochschule zu absolvieren.

Nur sechs Minuten mehr als in der Kneipe verbringt der akademische Nachwuchs in der Bibliothek, dem Ort, den die Jugendlichen, die aus ihrem meist beengten Kinderzimmer nicht ausziehen wollen, in Scharen zum Lernen benutzen. Nur 19,2 Prozent studieren, um Arbeit zu finden. Die größte Gruppe, 30 Prozent, ist hauptsächlich scharf auf den Titel.

In keinem Land Europas schauen die jungen Menschen mit so viel Zuversicht dem nächsten Jahrtausend entgegen wie in Spanien. Trotzdem haben auch sie ihre Sorgen: Die größte ist für 73 Prozent der Befragten die Arbeitslosigkeit. Dabei geht es scheinbar nicht um die eigene Arbeit, sondern um die der anderen, denn nur 44 Prozent sehen es um die Zukunft der Jugend als solche schlecht bestellt. Vielleicht hat der Nachwuchs ja einfach nur Angst, Papa und Mama könnten ihre Jobs verlieren. Wer soll dann das perfekte Jugendglück bezahlen? Reiner Wandler