„Pack deinen Scheiß zur Seite“

■ Horror – so überfüllt sind die deutschen Züge. Die Bahn schaut zu – und zockt ab. Die Reisenden sind sauer. Sonja N.: „Das nächste Mal nehme ich gleich das Flugzeug“

Berlin (taz) – Chaos im ICE 842 „Henriette Herz“ von Berlin nach Köln. Ein kräftiger blonder Mann sitzt im Flur auf seinem Koffer. Ein zweiter will vorbei. „Jetzt pack deinen Scheiß zur Seite.“ Der Blonde steht auf. „Und wo soll ich hin, du Arsch?“ Die Luft ist zum Schneiden. In der flexiblen Verbindung zwischen zwei Waggons kauern vier Mädchen mit dem Rücken zur Gummiwand. Viele andere haben weniger Glück. Sie finden nicht mal mehr einen Platz zum Hocken. Sie müssen die Strecke durch stehen.

Einer der Mitreisenden arbeitet bei der Bundesregierung. Er kennt die Szenen. „Das ist jeden Freitag und Sonntag so.“ Als Pendler spendiert ihm der Staat Hin- und Rückfahrt von Berlin an den Rhein. „Es kommt alles zusammen. Die Pendler aus Bonn und die Studenten, die übers Wochenende nach Hause fahren. Und dann noch das billige Guten-Abend-Ticket.“ Ein anderer Fahrgast hat sich vor der Toilette einen halben Quadratmeter erobert. Er macht sich Sorgen um die Sicherheit in den Hochgeschwindigkeitszügen. „Wenn der Zug plötzlich bremsen muss, fallen hier doch alle durcheinander.“

Die Zustände sind der Deutschen Bahn AG bekannt. Eine Sprecherin versichert, dass alles normal sei. So gibt es tatsächlich in den modernen ICEs zwei ausgewiesene Stehplätze je Quadratmeter. Auch könne von einer Überlastung erst bei „einem Besetzungsgrad über 200 Prozent“ gesprochen werden. Dennoch: „Wir versuchen, etwas zu verbessern.“ Fahrtgäste sollen durch spezielle Angebote in leere Züge zu anderen Tageszeiten gelockt werden. Das Gegenteil sei der Fall, bestätigt der Schaffner. Erst durch das billige Guten-Abend-Ticket für 84 Mark wäre der ICE 842 so hoffnungslos überfüllt.

Eine Lösung könnte es sein, die Züge zu verlängern. Doch leider „können die Waggons nicht länger werden, da die Bahnsteiglängen die Zuglängen begrenzen“, meint die Bahnsprecherin. Ein Blick auf den Wagenstandsanzeiger weckt Zweifel: Der ICE 842 ist etwa ein Drittel kürzer als die längsten Züge, die auf der Strecke Berlin–Köln verkehren.

Uwe Miertschischk vom Deutschen Bahnkundenverband kennt einen Grund für die Untätigkeit der Bahn. Durch die Zugüberlastung am Wochenende würden Kosten reingeholt, die durch die leeren Züge unter der Woche entstehen. „Die Bahn glaubt nicht, dass zufriedene Kunden auf Dauer besser sind als Mehrkosten durch den Einsatz von mehr Zügen oder Waggons in den Spitzenzeiten.“ Als Konsequenz würden die Fahrgäste ausbleiben. Denn die haben nur die Alternative: für 84 Mark mit dem Guten-Abend-Ticket am Wochenende im überfüllten Zug zu reisen – oder außerhalb der Stoßzeiten zu fahren und den regulären Preis zu zahlen. Für die Strecke Köln–Berlin beträgt der 380 Mark. Da ist Fliegen billiger: Ein Ticket der Deutschen Lufthansa kostet schließlich nur 240 Mark inklusive Steuern und Gebühren für die gleiche Strecke.

David Schraven