Gott und Welt

■ Goethe, Hitler, Grass – Eine Säkulareskalation des Obszönen

Es begann das Ganze schon im mittleren 19. Jahrhundert, nämlich wie fast alles mit Goethe, der nämlich, angeblich, eine „Weltliteratur“ wollte und einführte. Der Zoologe und Naturphilosoph Ernst Haeckel ließ zum Jahrhundertausklang, 1899, ein Buch über die „Welträthsel“ folgen, mit welchem er die Darwinsche Deszendenztheorie zu untermauern suchte – schon vorher hatte Richard Wagner im Tristan 1865 den „Weltatem“ sowohl als das „Weltentrücken“ verspürt, 1882 im Parsifal dann freilich auch schon den „Weltenwahn“, der in gewisser Weise pro-Schopenhauer nebenher jenen bekannten „Weltgeist“ Georg Wilhelm Friedrich Hegels erledigte, wie er seinerseits einerseits auf die Platonsche „Weltseele“ (Pneuma), andererseits wiederum auf Goethe und seinen faustischen Erdgeist zurückgehen könnte.

Etwa zusammen mit der genaueren Entdeckung des „Weltraums“, der „Weltpolitik“ und dem Griff Deutschlands nach der „Weltmacht“ (Fritz Fischer, 1961) brach dann 1914 kausalnektisch zwingend auch schon erstmals ein „Weltkrieg“ aus, anschließend kam es zu den ersten „Weltmeisterschaften“ und „Weltrekorden“ – was Wunder, dass Adolf Hitler diesen und speziell dem Neger Jesse Owens den festen Willen entgegensetzte, nicht nur seine Quasi-Heimatstadt Linz zur „Weltstadt“ zu erheben, sondern gleich auch noch Berlin bzw. „Germania“ zur Paris und Petersburg weit überlegenen „Welthauptstadt“; um dann spätestens 1950 von dort aus und abermals ein – sein – „Weltreich“ auszurufen (Joachim Fest, Speer, Berlin 1999, S. 126).

Wozu es bekanntlich erst mal nicht mehr ganz kam, sondern erst wieder mit dem allgemeinen Berlin-Umzug 1999 – zuvor aber, gleich nach dem Finale des Weltkriegs, war die Einsetzung des „Weltkommunismus“, des „Weltcups“, des „Weltniveaus“, des „Weltmarkts“ sowie jener „Weltkultur“ erfolgt, welche Goethes Pioniergedanken zum einen erweiterte und zum andern mit Wirkung vom 8. März 1960 zu jenem „Weltkulturerbe“ und jenen „Weltkulturgütern“ (Dom von Bamberg usw. usf.) im Sinne der Unesco derart verdichtete, dass diese allesamt ihrerseits noch einmal den Begriff des „Welterbes“ (World Heritage List) zu neuen Ehren brachten, wie er bereits, erstmals aus dem Munde der Rheintöchter, 1854 in nun wiederum Wagners Rheingold ausgesprochen wurde, um jetzt endlich seine späte Erfüllung zu finden.

Und da mochte es denn nicht oder jedenfalls kaum mehr fehlen, dass Hans Küng, Tübingen, ab 1990 langsam, aber doch zügig seinen Begriff resp. seine Vision des „Weltethos“ theoretisch und praktisch und mit gleitender Arbeitszeit im zuständigen Institut zur Aufführung brachte; derart die Forderung von George Soros (Die Krise des Kapitalismus, 1998/99) nach einer „Weltgesellschaft“ im Sinne einer neuen „Weltzivilisation“ (John Gray, Die falsche Verheißung, 1999, S. 10) und im revidierten Sinne des alten „Weltpolizisten“ Amerika präzisierend; nämlich als aktualisierten Ausfluss von Sir Karl Poppers „Offener Gesellschaft“ zur nun eben „offenen Weltgesellschaft“ (Soros, S. 293) gewissermaßen durch den alten Weltmarkt hindurch und das „Offene Kunstwerk“ (Umberto Eco, 1962) der Weltkultur dabei ständig im Auge; verifizierend gleichzeitig auch M. Gorbatschows „Weltenbaum“-Realsymbol von 1995, mit welchem der alte Russe sein schon älteres „neues Denken“ von ca. 1989 wieder etwas erneuerte o. s. ä.

Dass aber ihrerseits nationale Impulse im Zuge dieser mehr global-kosmischen Weltbezogenheit vor dem Hintergrund von Gorbatschow-Soros-Gray sich im Sinne Küngs durchaus wieder national auszahlen, dies erfuhr die deutsche und die interessiert aufhorchende Weltöffentlichkeit spätestens am 1. Oktober 1999 mit der durchaus verblüffenden Installierung des stets international und weltweit verantwortungsvollen deutschen und neuesten Literaturnobelpreisträgers G. Grass, der nämlich eben damit „die deutsche Literatur nach 1945 wieder weltmarktfähig“ (Focus, 4. Oktober 1999) machte; auch wenn bereits nach dem Ersterscheinen der Blechtrommel im Jahr 1959 die damals führenden H. Schwab-Felisch bis J. Kaiser schon damals den gleichen fokussierten Unrat hinsichtlich der Weltmarktfähigkeit des Schinkens zusammengeseiert hatten.

Und damit aber eigentlich nur alle im Verein nochmals jene „Welthirnjauche“ bestätigten und absegneten, in welche Karl Kraus in seiner Fackel sich aber schon seit ca. 1925 ständig getaucht sah.

Eckhard Henscheid