Die schlauen Erben des Hertie-Konzerns

Die Hertie-Erben verteilen über ihre Stiftungen nicht allein Wohltaten. Sie nutzen sie vor allem, um ihr Vermögen vor Steuern zu schützen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt  ■   Von Martin Murphy und David Schraven

Die Erben des Hertie-Konzerns stellen jährlich acht Millionen Mark für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung. Dafür haben sie zwei Stiftungen, die Gemeinnützige Hertie-Stiftung und die Hertie-Familienstiftung, gegründet. Doch außer Wohltätigkeit bieten die Stiftungen den Erben auch die Möglichkeit, enorme Summen am Fiskus vorbei zu lenken.

Schon in der Satzungs-Präambel steht, dass es vorrangiges Anliegen sei, „Schaden aufgrund zu hoher Steuerlast“ von der Hertie-Familienstiftung abzuwenden. Und Steuern sparen die Hertie-Erben nach Kräften.

In der internen Finanzaufstellung der Hertie-Familienstiftung, die der taz vorliegt, sind Profite aus verschiedenen Quellen in Höhe von 426 Millionen Mark im Zeitraum von 1990 bis 1997 ausgewiesen. Eine erhebliche Summe, auf die laut dieser Aufstellung aber nur 60.000 Mark Ertragssteuern gezahlt wurden. Und die Zahlen verraten noch mehr: Von 1992 bis 1997 wurden demnach überhaupt keine Ertragssteuern gezahlt.

In der internen Rubrik „Ertragssteuern“ steht in diesem Zeitraum konstant eine Null, obwohl in der Vermögensübersicht jeweils zu den Jahresenden 1994 bis 1997 ein wachsendes Anlagevermögen zwischen 1,79 und 1,87 Milliarden Mark ausgeführt ist. Hierin ist ein Darlehen über 1,6 Milliarden Mark der Gemeinnützigen Stiftung enthalten (siehe Kasten).

Auch die Spalten „Liquide Mittel“ und „Umlaufvermögen“ füllen sich in den Jahren 1994 bis 1997: Die Summen steigen von gut 72 auf über 183 Millionen beziehungsweise von 105,7 auf 228,8 Millionen Mark. Trotzdem entsteht kein zu versteuernder Gewinn.

Möglich wurde diese Steuerabstinenz durch die Sonderabschreibung in den neuen Bundesländern. Im großen Stil kaufte die Hertie-Familienstiftung Immobilien vor allem in Potsdam und Berlin.

In welcher Weise dabei mit hohen Summen umgegangen wird, zeigt folgendes Beispiel: Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Klaus Rehmann, kündigt in einer internen Dienstanweisung vom 19. März 1998 einen Geldzuwachs an: „Es ist zu erwarten, dass unsere Liquidität ab Mitte April um 900 Mio. DM anwächst“, schrieb der Spitzenmanager auf ein kariertes Blatt Papier. Er fordert seinen Untergebenen auf, für die problemlose Abwicklung des Geldregens zu sorgen. Und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt „Ertragsoptimierung (nach Steuer-Betrachtung)“.

Was wird mit den gesparten Steuer-Millionen finanziert? Zum Beispiel steht den Familienmitgliedern der Nachfahren des verstorbenen Hertie-Chefs Georg Karg unter anderem ein Geschäftsjet des Typs Dassault-Falcon-10 zur Verfügung. Das geht aus stiftungsinternen Papieren hervor. Kosten der Transporthilfe: über eine Million Mark im Jahr. Hertie-Spross Hans-Georg Karg wollte zum Umgang mit den Stiftungsgeldern gegenüber der taz keine Angaben machen.

Mit diesen Vorgängen bei den Hertie-Stiftungen beschäftigt sich nun auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt gegen die Hertie-Stiftungen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Untreue. Im Mittelpunkt des staatsanwaltlichen Interesses stehen dabei die Immobilientätigkeiten und ein so genanntes „partiarisches Darlehen“; eine besondere Darlehensform, bei der man üblicherweise statt Zinsen Anspruch auf Gewinnanteile erwirbt. Eine solche Darlehensvergabe hat es unter den Hertie-Stiftungen gegeben.

Grundlage der Ermittlungen ist eine Anzeige eines früheren hochrangigen Stiftungsmitarbeiters. Wann und ob es zu einer Anklage kommt, dazu wollte sich ein Justizsprecher nicht äußern. Ein Steuerfahnder, der sich offiziell zu den Ermittlungen nicht äußern darf, sprach jedoch von einer „Steilvorlage zum Beginn eines Verfahrens“.

Mittlerweile beschäftigt sich auch der Hessische Landtag mit der Hertie-Affäre. Nachdem in der taz vom 14. September 1999 die Verquickung der Stiftung mit hessischen Landespolitikern und dem Stiftungsaufseher aufgezeigt wurde, fordert Alexander Müller, haushaltspolitischer Sprecher der hessischen Grünen-Fraktion, Aufklärung von der christliberalen Landesregierung.

Der für die Stiftungsaufsicht zuständige Beamte des Frankfurter Stadtverwaltung, Peter Peiker, ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des hessischen Landesverbandes der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft (DMSG). Die DMSG wird nach Angaben der Hertie-Stiftung bundesweit jährlich mit 1,2 Millionen Mark von der Stiftung unterstützt.

In seinem Berichtsantrag fragt Müller jetzt die CDU/FDP-Landesregierung, ob es zu einer „teilweisen oder vollständigen Überprüfung der Entscheidungen des städtischen Mitarbeiters (Peiker) kommen muss“. Die Doppeltätigkeit des Beamten fände er „bedenklich“. Müller verfolgt die Aktivitäten der Hertie-Stifter bereits seit längerem. Richtig voran kommt er in der Sache aber nicht. „Da ist eine Mauer, die durchdringe ich nicht“, beschreibt er die verfilzten Strukturen. Das könnte sich jetzt ändern. Eine Sprecherin des Innenministeriums hat angekündigt, dass die Antworten auf Müllers Fragen in einer Sitzung des Haushaltsausschusses Anfang Dezember gegeben werden.

Der Vorstoß des grünen Abgeordneten bringt die hessische Landesregierung in die Zwickmühle. Denn in der DMSG sind auch Parteifreunde. Der frühere Innenminister und CDU-Fraktionsvorsitzende Gottfried Milde bekleidet sogar den Vorsitz der DMSG: Mit im Boot sitzt auch die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth (CDU). Roth ist Schirmherrin des hessischen DMSG-Landesverbandes.

Im hessischen Innenministerium waren die Vorgänge bei den Hertie-Stiftungen bereits Thema einer Gesprächsrunde. Nach dem Treffen urteilte der Leiter der juristischen Abteilung des Innenministeriums, Wolfgang Hannappel: „Die Vorgänge bei der Hertie-Stiftung mögen moralisch zu beanstanden sein, aber nicht stiftungsrechtlich.“ Für ihn sei die Sache damit vorerst erledigt.

Die Verantwortlichen der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung haben jetzt auf die vielfältigen Vorwürfe reagiert. Für das Jahr 1999 wollen sie insgesamt 20 Millionen Mark für gemeinnützige Arbeit zur Verfügung stellen. Bisher waren es acht Millionen pro Jahr. Bei einer Kapitaldecke von über 1,6 Milliarden Mark sind das aber weniger als die Zinsen eines Postsparbuches.