Schuss um Schuss für den Ladenschluss

■ Wickerts Werteverlust: In „Schlaraffenland“ legen schlecht erzogene Kids ein Kaufhaus in Schutt und Asche

Eine Nacht im Kaufhaus, das ist so ungefähr der letzte große Traum, den die Warengesellschaft uns Konsumkrüppeln noch zu bieten hat. Und weil Träume wiederum schnellstmöglich in Ware umgewandelt gehören, war es höchste Zeit, dass sich der Film der Sache annimmt.

Die soeben erstmals verliehene „Goldene Rolltreppe“ geht also an Friedemann Fromms „Schlaraffenland“. Hören wir die Begründung der Jury: „ ,Schlaraffenland‘ dekonstruiert auf bisher einmalige Art und Weise die Sehnsüchte einer Konsumentengeneration. Sieben Jugendliche, Kinder noch, brechen des Nachts in ein hypermodernes Kaufhaus ein, um dort eine Orgie der Ausschweifung zu feiern. Unter Zuhilfenahme bewusstseinsfördernder Substanzen eignen sie sich die Güter einer Kultur der Scheinbefriedigung an, um sie danach achtlos wegzuwerfen. In der Weihnachtsdekoration der Spielwarenabteilung wird eine wildromantische Hochzeit gefeiert. Musikanlagen, Designerkleidung und Waffen kommen zu vollem Einsatz. In der Kinderverwahrstelle erlebt ein Knabe den ersten leidenschaftlichen Sex. Kurzum: Die verlogenen Freiheitsversprechen der Werbeindustrie werden konsequent in die Tat umgesetzt. Die Folgen können nur tödlich sein. Die korrupten Schergen des Systems, das Wachpersonal, entfesseln eine blutige Schlacht, deren Ausgang über den Fortbestand der kapitalistischen Ordnung entscheidet. So entlarvt ,Schlaraffenland‘ das Einverständnis mit der Konsumgesellschaft als einen Akt der Gewalt.“

Ist natürlich alles gelogen, beziehungsweise gilt nur für die erste halbe Stunde, bevor alles wieder auf die übliche sinnlose Ballerei zusteuert. Da hält Fromm über Aneignung (die Wachschutzleute wollen die 2,5 Millionen im Safe) und Zweckentfremdung (die Kids wollen den Fun) die Kronjuwelen der subversiven Aktion in Händen, aber er stellt sich damit an wie ein kleines Kind, das mit Messer und Gabel in der Steckdose rumfummelt.

Der Grund ist ein Überbauproblem. In Interviews beklagt Fromm, sonst ein Mann für den „Tatort“, eine konsumorientierte Jugend ohne Werte, doch um das zu demonstrieren, braucht er die Knarre in der Hand als Gradmesser der Zivilisationstauglichkeit. Eine fiese Umkehrung der Schuldfrage führt die Kinder als schwer erziehbare Normabweichler vor, die versagen, wenns hart auf hart geht. Dieser Kniff ist weit unsympathischer als die Eigenschaften, die seine „Helden“ im Kampf ums Überleben entwickeln: Lüge, Gier und Lust auf Gewalt, die vor dem Leben auch der eigenen Leute nicht halt macht. Wer sich wehrt, lebt eben doch verkehrt, oder: was haben da die Eltern bloß falsch gemacht?

Dass die Erwachsenenwelt treffsicher von schwarzen Sheriffs repräsentiert wird, die – angeführt vom als Charakterschwein bestens besetzten Heiner Lauterbach – nur an den Kaufhaustresor wollen, bietet nicht etwa die Erklärung für die Gewalt, sondern die Bestätigung für Fromms penetrantes Sozialarbeitertum. Und mit der postmodernen Haltung seiner vorlauten Kids – „wenn du stark genug bist, bestimmst du die Bilder“ – kann er nichts anderes anfangen, als sie in Blut zu ersäufen. So ist „Schlaraffenland“ am Ende nicht mehr als ein spekulativer Beitrag im Kampf gegen das Ladenschlussgesetz. Philipp Bühler

„Schlaraffenland“. Regie: Friedemann Fromm. Mit Heiner Lauterbach, Franka Potente, Jürgen Tarrach. D 1999, 110 Min.