„Jeche Chhilbe einchheln chprechen“

■  Nadia Gruhn lehrt Sprechen mit Leidenschaft und Korken. Die Radiosprecher, Moderatoren und Schaupieler, die ihre Trainingskurse besuchen, sind schwer gefordert

„Ein tschechischer Busfahrer ist ein Streichholzschächtelchen.“ – „Ein tschechischer Busfahrer ist ein Streichholzschächtelchen.“ – „Ja, gut. Sind Sie sich nicht sicher? Wiederholen, bitte.“ – „Sind Siesich nicht sicher?“

Wolfgang Dille, Redakteur beim Krefelder Lokalradio Welle Niederrhein, senkt seinen Kopf und legt die Hände auf die Knie. Tief durchatmen. Sein Zeigefinger schabt am Daumennagel, während er zu seiner Lehrerin aufsieht. „Das war zu schnell. Bringen wir erstmal den Kehlkopf in die Nullstellung“, fordert Sprechtrainerin Nadia Gruhn und hebt die Arme. „Recken, Strecken, Gähnen, Ausseufzen“, prustet sie heraus, ehe sie die Arme ausbreitet, laut gähnt und einen langen Seufzer ausstößt. Wolfgang Dille tut es ihr gleich; gähnt und schickt einen Seufzer in die Studiohitze. „Genau, das muss raus“, schreit sie und ballt die Faust vorm Gesicht. „Auf das Zusammenspiel aller Organe kommt es an. Sprechtraining ist eine Ganzkörpermassage.“

Jeden Dienstag bringt die freiberuflich arbeitende Sprechtrainerin in Krefeld Redakteuren, Volontären und Praktikanten das richtige Sprechen, Atmen und Sitzen bei. Heute sind vier Sprechschüler dran, jeder hat seine ganz eigenen Schwächen. „Wolfgang zum Beispiel hat zwar eine schöne, warme Stimme, neigte aber früher zum Nuscheln. Heute verbindet er Wörter noch zu schnell. Trotzdem: Wir haben den Ruhrpottler in ihm schon kleingekriegt.“

Wenn die gelernte Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin ihnen gegenübersitzt, sind die Journalisten gefordert: Zunge rausstrekken, gerade sitzen, Liegestützen zur Sprachlockerung und mit einem kräftigen „Brrrr“ entspannt einen Motor nachahmen. Zusätzlich zu den wöchentlichen Stunden empfiehlt sie dreimal täglich eine fünfminütige Übungseinheit. Vor den Spiegel stellen und sich sagen, dass man schön sei: Ein selbstbewusstes Auftreten heißt die Maxime. Redakteure wie Wolfgang Dille besitzen Vokabelhefte, aus denen sie sich immer wieder ihre Anmoderationen laut vorlesen.

Und der Korken gehört dazu. Er ist einer der zahlreichen Kniffe der Essenerin, Schnellsprecher zur Räson zu bringen. Sie schiebt einen Weinkorken zwischen die Zähne und beißt zu: „Jekch much ichh jeche Chhilbe einchheln chprechen.“ Ihr Gegenüber nickt.

Die Sprechtrainerin hebt den Deckel ihrer Trickkiste weiter: Viel küssen und lachen trainiert Mund und Zunge. Bevor Moderatoren ans Mikrofon gehen, sollen sie herumlaufen, sehr tief ausatmen und immer wieder Wasser trinken. Kaffee und Zigaretten verkleben die Atemwege. Auf keinen Fall räuspern am Mikrofon, sondern husten – alles muss raus.

Von gezwungenem Nachsprechen und minuziösen Atemtechniken hält sie nichts. „Intuition und Emotion sind die entscheidenden Komponenten, die ich bei vielen erst wecken muss.“

Sie redet mit den Händen, zieht Kreise in die Luft, wirbelt sie durcheinander und hebt immer wieder bestimmt den Zeigefinger. Wolfgang Dille beobachtet ihre Mimik aus ruhiger Haltung, nur sein Daumennagel reibt weiter am Zeigefinger. Der Redefluss bricht selten ab: „Bauch fühlen, schmekken, hören – sensibel sein“. Trotzdem sei Disziplin alles. Die Persönlichkeit im Sprecher aufrichten und den Körper durch aufrechte Haltung sonorer machen, sind die Anliegen des „Bauchmenschen“, wie sie sich bezeichnet.

Nadia Gruhn arbeitet auch für RTL und RTL 2 in Köln, wo sie Moderatoren Nachrichtensprechern auf die Zunge schaut, zwei Models, die Schauspielerinnen werden wollen, haben sie gebucht, und demnächst stehen beim NDR in Hamburg Moderationstraining mit Textanalyse auf dem Plan.

Schwüle Luft steht im Studio. Wolfgang Dille spielt die Moderation seines Magazins „Samt und Sonntag“ noch einmal vor. Kritisch neigt Nadia Gruhn den Kopf, doch Fehler findet sie kaum. Die Stimme einer alten Frau läuft vom Band. Sie empfange den Sender nur noch sehr schwach. Ein verzweifelter Seufzer am Ende der Beschwerde. „Antenne putzen,“ empfiehlt ihr der Redakteur. Die Frau lacht leise. Nadia Gruhn reißt die Arme auseinander: „Genau das bist du: Der Moderator soll menscheln, mit seiner Stimme die Zuhörer aufbauen.“ Sie lacht und klatscht in die Hände. Ende. Ihr Schüler steht auf, Küsschen links, Küsschen rechts. Das trainiert den Mund. Torsten Schäfer