Den meisten ist es egal, was ich tue“

■ Die Zeitschrift „Zeitdruck“, das einzige Magazin von Straßenkindern in Deutschland, wird fünf Jahre alt. In Berlin leben 3.000 Kids auf der Straße. Für manche ist „Zeitdruck“ ein Stück Zuhause

Es ist gerade noch warm genug, um morgens um zehn auf der Bordsteinkante zu sitzen. Peter kauert wie eine kleine Kugel vor einem Rollladen, sein Hund tapst um ihn herum. Der 15-Jährige ist eines von etwa 3.000 Straßenkindern in Berlin. Und hinter dem Rollladen liegt für ihn so etwas Ähnliches wie ein Stück Zuhause – die Redaktion von Zeitdruck, dem einzigen Magazin von Straßenkindern in Deutschland.

Das erste Mal kam Peter hierher, weil er mit dem Verkauf der Zeitung Geld verdienen wollte. Nun wartet er auf den Sozialarbeiter. „Heute ist ein wichtiger Tag“, sagt der Junge. Es geht um die Frage, ob er bald in eine betreute Wohngemeinschaft einziehen kann. „Ich will weg von der Straße“, sagt Peter.

Wie er sich fühlt, hat in den vergangenen Jahren nicht besonders viele Menschen interessiert. „Meinen Eltern ist es eigentlich egal, was ich tue.“ Doch für Zeitdruck schreibt er auf, was er denkt und fühlt. Für Kinder und Jugendliche wie Peter will das Magazin, das nun fünf Jahre alt wird, ein Sprachrohr sein. Hier soll zu lesen sein, was Straßen- und Suchtkinder bewegt, was sie erlebt haben, was sie denken und fühlen. „Pflichtlektüre für alle Eltern und Politiker“ sollten die Bücher sein, die aus dieser Arbeit entstanden sind, findet Unicef.

Straßenkinder, das sind nach der Definition des Vereins „Karuna“, zu dessen Angebot die Zeitung gehört, längst nicht nur Jugendliche ohne Obdach. Viele wohnen zum Teil zu Hause, laufen immer wieder weg, hausen in besetzten Wohnungen, Wohngemeinschaften oder Krisenunterkünften. Und immer mehr der Jugendlichen, um die sich Karuna kümmert, sind leise, unauffällig und werden in den eigenen vier Wänden drogenabhängig.

Doch die Zeitung hat noch zwei andere Ziele. „Hier können sie endlich etwas tun, was ihnen Spaß macht, und haben auch eine Aufgabe“, sagt Claudia Rey, die in dem Projekt arbeitet. Zugleich ist Zeitdruck für viele Kinder einfach zur Anlaufstelle geworden – für eine Tasse Kaffee, ein Gespräch. „Jede Menge intensive Beratung und Einzelfallbetreuung“ bedeutet das laut Rey. Wer zum Schreiben oder Zeichnen kommt, der tut das nicht schweigend – der erzählt auch von sich.

So wie Matthias, der mit seinen 16 Jahren jetzt die erste Langzeitdrogentherapie vor sich hat und morgens mit dem Kleinbus in die Redaktion gebracht wird. Er lebt gerade in einem betreuten Wohnprojekt von Karuna, und da ist das Erscheinen bei Zeitdruck einmal die Woche Pflicht. Matthias findet das gut, „weil ich gemerkt habe, dass ich schreiben kann und mir das Spaß macht“. Und weil Zeitdruck die einzige Zeitung ist, von der er sicher weiß, dass sie Kinder wie ihn nicht in Klischees presst. „Wir sind nicht alle so, dass wir unsere Zukunft nicht auf die Reihe kriegen wollen.“ Matthias zum Beispiel hat ein Nahziel: „das erste Jahr der Therapie schaffen“. Und ein Fernziel: „Dann will ich wohl so eine Art Spießer werden, mit Arbeit und Wohnung und so.“

Peter, der noch nicht weiß, was aus seinem Leben werden soll, hat einen Wunsch in einem Zeitdruck-Artikel aufgeschrieben: „Liebe Zukunft, wie sieht's aus? Kannst du es auf die Reihe kriegen, dass ich nicht irgendwann als Drogenopfer krepiere?“

Katja Bauer/dpa