Willkür-Richter Adam im Plattenbau

■ Der zerbrochene Pflug“: die Wende als Theaterprojekt in Leipzig

Das Wende-Jubiläum macht auch vor den Theatern der Republik nicht halt. Die jüngste dramatische Aufarbeitung von '89: Der Leipziger Regisseur Dirk Schone versetzte den Kleistschen Lustspielklassiker „Der zerbrochene Krug“ in die emotionsgeladene Vor-Wendezeit der Montagsdemos und Friedensgottesdienste.

Mit der kühnen Aktualisierung des alten Stoffes um den Schuldigen als Richter, der durch Begehrlichkeit und Amtsmissbrauch zu Fall kommt, gelang dem jungen Leipziger eine ebenso überzeugende wie metaphernreiche Parabel auf die Irrungen und Wirrungen der Wendezeit:

Richter Adam vom Amtsgericht Potsdam hat ein Auge auf die blutjunge Schreibkraft Inge Mallorke geworfen. Doch die geht dem verdienten SED-Mitglied und rüstigen Schwerenöter tunlichst aus dem Weg, ist sie doch mit dem Bürgerrechtler Ruprecht verlobt.

Wie es die unberechenbare Laune des Schicksals will, kommt es ausgerechnet zwischen Inge und Ruprecht zum Prozess. Streitpunkt ist ein Pflug, den Ruprecht, ein engagierter Pazifist, aus Schwertern geschmiedet und seiner Inge zum Geburtstag geschenkt hatte. Doch unter mysteriösen Umständen ist dieses Ackergerät, das Inges bescheidener Plattenbauwohnung bislang eine individuelle Zier war, zu Bruch gegangen. Ruprecht vermutet Nebenbuhler und will die Sache vor Gericht geklärt wissen. Und wie es der Zufall will, führt ausgerechnet Richter Adam den Vorsitz ...

Während der Verhandlung wird bald klar, dass niemand anderes als Richter Adam für die Zerstörung des Pflugs verantwortlich ist. Während eines nächtlichen Besuchs bei der bildhübschen Inge hatte er versucht, sie sich gefügig zu machen. Doch selbst die Verlockung einer gemeinsamen Bulgarienreise verfing nicht bei der treuen Seele. So musste Richter Adam unverrichteter Inge gehen, nicht ohne vorher den Pflug, Ruprechts Liebesgabe und ehernes Symbol seines unbeugsamen Friedenswillens, zu zertrümmern.

Da naht die Gerechtigkeit in Gestalt des Gerichtsrats Walter. Er entdeckt in Richter Adams Personalakte nicht nur einige dunkle Flecken, sondern spürt auch etliche Ungereimtheiten in dessen eigenwilliger Prozessführung auf. So hatte Adam vor Prozessbeginn Inge unmissverständlich gedroht: „Willst du mir hier von einem anderen trätschen, und Dritten etwa, dumme Namen nennen: sieh Kind, nimm dich in Acht, ich sag nichts weiter.“ Stasi, ick hör dir trapsen ...

Dirk Schone gelingt es, die Handlung im Parallelschwung zur deutschen Geschichte zum Schluss zu führen: Gerichtsrat Walter bereitet Richter Adams Willkür-Justiz schließlich ein Ende und die beiden Liebenden werden glücklich wiedervereint!

Auch in der Besetzung der Rollen bewies das Regietalent eine glückliche Hand. Renommierte Mimen mit DDR-Hintergrund verleihen der Aufführung eine geradezu beängstigende Authentizität. Mario Rösler mimt den Richter und Lustmolch mit grimmem Humor, während Manfred Krug in der Rolle als Gerichtsrat Walter eher protestantisch unterkühlt agiert. Glanzpunkt der Produktion aber ist die Gestalt der Inge: Mit Bärbel Beaulieu als junger Naiven fand Schone die Idealbesetzung, die allen Anfeindungen des Willkür-Regimes zum Trotz ihre lautere Integrität zu bewahren versteht.

Einzig der dramaturgische Ernteeinsatz des Pfluges mag nur auf den ersten Blick bestechen. Dirk Schones gusseiserne Anleihe an die Symbolik der Friedensbewegung beschwert seine leichtfüßig gedachte Justizposse mit einer überdeutlichen Symbollast, und so erweist sich das sperrige Ackergerät im Verlauf des Abends als Requisit, das die Leichtigkeit der Kleistschen Vorlage über weite Strecken allzu tiefgründig unterpflügt. Rüdiger Kind