■ Die Solidarität im Gesundheitswesen ist in Gefahr
: Medizin kontra Gerechtigkeit

Trotz Bundestagsmehrheit hat angesichts christdemokratischer Fundamentalopposition die auf das Globalbudget zentrierte Gesundheitsreform wenig Durchsetzungschancen. Die Ausgaben sollten dauerhaft gedeckt und so Rationalisierungsreserven mobilisiert werden. Ein allgemeiner Sparzwang jedoch verteilt den Mangel nicht gerecht. Wo es nicht für alle reicht, spart die Medizin an sozial Schwachen, die gesundheitliche Anliegen nicht entschieden vertreten. Zudem ist das wachsende medizinische Angebot nicht zu finanzieren, wenn die Einnahmen der Krankenkassen allein an die Lohnentwicklung gekoppelt bleiben. Unstete Erwerbsbiografien, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Alterung der Gesellschaft – all die Themen, die die Sozialpolitikerin Andrea Fischer aufwarf, ignoriert sie als Gesundheitsministerin. Wer dauerhaft an einer solidarisch finanzierten Absicherung von Gesundheitsrisiken festhalten will, muss den universalistischen Anspruch der Krankenversicherung durch die Einbeziehung weiterer Personengruppen und zusätzlicher Einkommensarten stärken.

Und was will die CDU? Sie verspricht mehr Dienstleistungsmedizin, mehr Wahlfreiheit und Eigenverantwortung der Patienten. Aber auch sie will nicht, dass Krankenversicherungsbeiträge steigen. Höhere Gesundheitsausgaben können deshalb nur privat finanziert werden: Neben eine solidarisch finanzierte medizinische Grundversorgung tritt eine Luxusmedizin, die auf die wellness einer zahlungskräftigen Klientel setzt. Gleichzeitig würden sich Zuzahlungen zu Medikamenten, Krankenhaus und Kuraufenthalten erhöhen. Noch besteht eine moralische Solidarität im Gesundheitswesen: Die Beiträge des Einzelnen sind an dessen Leistungsfähigkeit, nicht seine Gesundheit gebunden. Diese Solidarität ist gefährdet, wenn allein die Anbieter des Medizinbetriebs definieren, was „medizinisch notwendig“ ist. Ohne polititische Kontrolle zerstört der Boom der Medizin die soziale Gerechtigkeit. Harry Kunz