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: Mädchen aufreißen in Schwäbisch Hall Wladimir Kaminer

Mein Freund Jakob, der in Berlin seit Jahren erfolglos versucht, eine schauspielerische Karriere zu machen, hatte endlich Glück. Diesmal durfte er im „Glöckner von Rotterdam“ einen der Soldaten in einer Massenszene spielen, und das im Sommertheater Schwäbisch Hall! Für drei Monate Arbeit – 18.000 netto auf die Hand. Begeistert verabschiedete er sich von Berlin, packte seine Sachen und fuhr los.

Doch das Geld war nicht so leicht zu verdienen, wie es ihm anfangs schien. Dort, auf der großen Bühne des Sommertheaters, hatte Jakob jeden Abend mit einer Herde lebendiger Schafe zu kämpfen – eine Regieerfindung. Die Schafe hatten starkes Lampenfieber und schissen meinen Freund von oben bis unten voll. Immer wieder musste er sein Kostüm waschen, doch der Geruch ging nicht mehr heraus. Spät abends, wenn die Vorstellung vorbei war, zog Jakob die stinkenden Klamotten aus und ging durch die Straßen von Schwäbisch Hall spazieren. Seine zweitgrößte Leidenschaft außer Schauspiel ist es nämlich, Mädchen aufzureißen. Die jungen Frauen in der Stadt sahen modern aus, sie trugen Biotattoos und Halogenkleider, sie schwärmten herum und lächelten dem Jakob zu. Nach geraumer Zeit gelang es ihm, ein Mädchen kennen zu lernen. Sie gingen zusammen essen. Er machte Witze über die kleinstädtischen Sitten, sie lachte gern mit. Nach dem Kaffee, als Jakob sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, seine kleine, aber gemütliche Bude zu besichtigen, wurde sie ernst und fragte ihn, ob er schon einen Bausparvertrag hätte. Jakob hatte ihn nicht. Wenig später stellte er fest, dass alle Bewohner der Stadt mehr oder weniger bausparbeschädigt sind.

Nachdem meinem Freund klar wurde, was für eine große Rolle im Privatleben der Schwäbischhaller der Bausparvertrag spielt und dass er ohne ihn gar keine Chancen bei Mädels hatte, suchte er verzweifelt nach einem Bordell. In Deutschland gibt es folgende Regelung: Ab 35.000 Einwohner darf jede Stadt offiziell ein Bordell besitzen. Das einzige Bordell in Schwäbisch Hall gab es immer schon, nur gut versteckt war es, wie in kleinen Städten üblich. Als dieses Jahr die Zahl der Einwohner endlich um stolze 0,013 Prozent wuchs und 35.008 erreichte, nutzten die Bordellbesitzer die Lage und hingen eine rote Laterne draußen ran. Sofort fand sich eine Bürgerinitiative für eine „bordellfreie Stadt“ zusammen. „Unsere Kinder fühlen sich auf der Straße nicht mehr sicher – beschwerte sich ihr Sprecher. Kurz darauf wurde die Laterne wieder abgehängt. Jakob, der ein Halbperser ist, merkte, dass es in Schwäbisch Hall gar keine Ausländerfeindlichkeit gibt. Die Bewohner erklären mit Stolz die Ursache: In Schwäbisch Hall haben sie so gut wie gar keinen Ausländer. Das Bordell ist der einzige Ort, wo man Bürger ausländischer Herkunft treffen kann. Nicht dass sie dort nach dem Vergnügen suchen – sie arbeiten hart.

Als Jakob wieder in Berlin aufkreuzte, war das schöne Geld auch fast alle. Doch seine Glückssträhne verließ ihn nicht. Er ist nun jeden Abend bei Sat.1 zu sehen, in einem Werbespot für Radeberger Pilsener lächelt er gewinnend den Frauen zu.