Überraschungssieger in Indonesien

Nach der Wahl des Oppositionspolitikers Wahid zum Nachfolger Habibies lassen Megawatis Anhänger ihre Enttäuschung auf der Straße aus. Das Land sieht nun vor einer ungewissen Zukunft entgegen  ■   Aus Jakarta Jutta Lietsch

Ein überdimensionales Porträt hängt von der „Willkommensstatue“ in Jakarta: „Meine Mutter, meine Präsidentin – Megawati“ ist es überschrieben. Hier, vor dem „Hotel Indonesia“, strömen die Anhänger der Politikerin zu Tausenden zusammen, um den großen Tag der ersten freien Präsidentschaftswahlen in der 54-jährigen Geschichte Indonesiens zu feiern. In den Straßen der Hauptstadt zweifelt kaum jemand daran, dass Megawati Sukarnoputri heute endlich an die Regierung kommt.

Wenige Stunden später wandelt sich die Freude in fassungslose Enttäuschung: Nicht „Mega“, sondern ein anderer Oppositionspolitiker, Abdurrahman Wahid, ist gewählt. Im Parlamentsgebäude ein paar Kilometer weiter südlich haben die knapp 700 Abgeordneten der „Beratenden Volksversammlung“ Megawati nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen durchfallen lassen. Ihr fehlen schließlich über sechzig Stimmen zum Sieg.

Wenig später brechen in der Nähe des Parlaments die ersten Straßenschlachten los, zwei offenbar selbst gezimmerte Sprengkörper explodieren und verletzen mindestens sieben Menschen. Die Polizei reagiert mit Tränengas, Wasserwerfern und Warnschüssen. Dass Wahid nach seinem Wahlsieg sofort die Hand der Verliererin ergriffen und von „unserem Sieg“ gesprochen hat, und dass Megawati würdevoll ihre Niederlage akzeptierte, ändert nichts an der Enttäuschung auf der Straße.

Bis in den späten Abend halten die Proteste an, während der neue Präsident vor der Volksversammlung in einer feierlichen Zeremonie eingeschworen wird. Abdurrahman Wahid, ein 59-jähriger muslimischer Geistlicher, wird der erste Regierungschef in der Geschichte Indonesiens, der in einer freien und geheimen Wahl bestimmt wurde. Sein Vorgänger, Bacharruddin Jusuf Habibie, der nach dem Scheitern seines Rechenschaftsberichtes in der Nacht zuvor seine Kandidatur zurückgezogen hatte, hilft dem fast blinden Wahid, den Weg zum roten Präsidentensessel zu finden.

Das Ergebnis der Wahl ist eine Sensation – und vorläufiger Höhepunkt auf der Suche nach einer neuen Regierung und neuen demokratischen Prozeduren in Indonesien. Erst kurz nach Mitternacht hatten die Delegierten beschlossen, nach welchen Regeln die Abstimmung stattfinden sollte: geheim und mit einfacher Mehrheit.

Ein dritter Kandidat, der Chef der kleinen, konservativen Muslimpartei „Halbmond und Stern“, hatte zusätzlich zur Verwirrung um zwei Uhr morgens seine Kandidatur eingereicht – und sie buchstäblich eine Minute vor Beginn der Wahl wieder zurückgezogen. Der Politiker, ein eitler Rechtsprofessor namens Yusril Ihza Mahendra, hatte sich in der Vergangenheit vor allem einen Namen damit gemacht, dass er erklärte, Frauen seien nicht geeignet, in einem muslimischen Land zu regieren.

Gemeinsam mit anderen muslimischen Parteien hatte er bereits vor den Parlamentswahlen im Juli versucht, einen Wahlsieg Megawatis zu verhindern. Die Politikerin schaffte es damals zwar, mit 34 Prozent die meisten Stimmen zu gewinnen. Das reichte jedoch nicht für eine Regierungsmehrheit.

Der Zweck seines dramatischen Auftrittes war gestern denn auch offensichtlich: Er nutzte die Gelegenheit, um die Abgeordneten noch einmal aufzufordern, „für den verehrten Abdurrahman Wahid“ zu stimmen. Mit Erfolg: Wahid konnte offenbar nicht nur die Stimmen der muslimischen Parteien, sondern auch einen großen Teil der zweitgrößten Fraktion auf sich vereinigen: der bislang regierenden Golkar-Partei, die sich nach konfusem Hin und Her in den frühen Morgenstunden entschlossen hatte, nach dem Rückzug Habibies keinen eigenen Kandidaten aufzustellen. Wahrscheinlich konnte Wahid auch einen Teil der Militärfraktion auf seine Seite ziehen.

Die Konsequenzen dieser Wahl sind noch kaum zu ermessen: Anders als Habibie oder Megawati kann sich der neue Präsident nicht auf eine große, eingespielte Partei stützen. Alles hängt nun davon ab, wer heute zum Vizepräsidenten oder zur Vizepräsidentin gewählt wird. Am Abend sind noch nicht einmal die Namen der Kandidaten klar, die ebenfalls von der Beratenden Volksversammlung bestimmt werden müssen.

Die besten Chancen hat offenbar Golkar-Chef Akbar Tanjung, um den zuvor auch Megawati geworben hatte. Auch Armeechef General Wiranto kommt wieder ins Spiel. Alle Kombinationen scheinen möglich. Im neuen Indonesien geht es nicht um ideologische Differenzen, sondern um die Macht.