Radio Pristina sendet anders

Unter der Aufsicht der OSZE werden die Medien im Kosovo wieder aufgebaut. Albaner und Serben sollen zusammenarbeiten, hasserfüllte Beiträge sind tabu  ■   Aus Pristina Paul Hockenos

Täglich um 16.30 Uhr bringt Radio Priština, das ehemalige Regionalstudio der jugoslawischen staatlichen Rundfunkanstalt, seine albanische Nachrichtensendung. Eine halbe Stunde später wird das türkische Programm ausgestrahlt, darauf folgt eine Sendung in serbischer Sprache. Die Redakteure der verschiedenen Programme, die in den einzelnen Studios des neu organisierten Senders arbeiten, gehen sich aus dem Weg. Der einzige Ort, an dem serbische und albanische Kollegen sich ab und zu begegnen, ist die mit Glasscherben übersäte Eingangshalle, die von einem stämmigen US-amerikanischen Polizist in Diensten der UN bewacht wird.

„Dass wir in ein und demselben Gebäude arbeiten, ist ein großer Schritt“, erläutert Miroslav Mihailovic, einer der wenigen serbischen Journalisten, der noch aus der Zeit übrig geblieben ist, da sämtliche elektronischen Medien in serbischer Hand waren. „Werden wir auch in Zukunft zusammenarbeiten? Ich weiß es nicht, aber die Basis dafür hätten wir.“

Das neunstöckige Rundfunkgebäude im Geschäftsviertel von Priština ist so ungefähr der einzige Ort im Kosovo, wo die verschiedenen ethnischen Gruppen der Provinz Seite noch an Seite arbeiten. Und wenn die Station nicht der direkten Aufsicht der internationalen Gemeinschaft unterstehen würde, wie alle Medien hier, gäbe es nicht einmal dieses trügerische Beispiel von multikultureller Koexistenz.

In dem 1970 errichteten hässlichen Gebäude mit seiner Fassade aus bröckelndem Zement und getönten Glasfenstern belegt der kosovo-albanische Dienst ein ganzes Stockwerk. Die Albaner sind im Juli in ihre Studios zurückgekehrt, neun Jahre nachdem die serbischen Behörden alle albanischen Mitarbeiter der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt entlassen hatten. Heute sendet die albanische Abteilung ein Fünf-Stunden-Programm, produziert von einer Rumpfredaktion, die sich aus früheren Mitarbeitern zusammensetzt. Sie wird allerdings geleitet, beaufsichtigt und finanziert von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OSZE. „Dagegen haben wir nichts“, erklärt Mehmet Haziri, der albanische Nachrichtenredakteur. „Hier ist die internationale Gemeinschaft heutzutage für alles zuständig. Es ist ganz normal.“

Innerhalb der UN-Verwaltung des Kosovo ist die OSZE für alle Medienfragen zuständig – von der Zuteilung der Frequenzen bis zur Aufstellung von Verhaltensmaßregeln. Als Interim-Rundfunkdirektor fungiert bei Radio Priština ein OSZE-Angestellter, der bei der Programmplanung dabeisitzt, die Sendungen mithört und das Personal ausbildet. Am Ende wird den Posten zwar ein Albaner übernehmen, aber die OSZE besteht eisern darauf, dass die Rundfunk- und Fernsehanstalt von Pristina, die RTV Kosovo, ein multiethnischer Sender sein wird.

„Man fragt uns ständig, wie unsere Beziehungen zu den Serben sind“, sagt die kosovo-albanische Journalistin Sodije Muloll, mit einem kleinen boshaften Blitzen aus den Augenwinkeln. „Tatsächlich müssen doch die Serben kommen und uns fragen, ob sie mit uns arbeiten dürfen. Sie sind es doch, die uns zuallererst aus diesem Sender verjagt und dann all diese Verbrechen begangen haben. Das kann man nur schwer vergessen.“

Fünf serbische Journalisten sind noch bereit zu arbeiten

Der serbische und der türkische Dienst produzieren täglich nur ein je einstündiges Programm. Das serbische Personal besteht aus den letzten fünf serbischen Journalisten, die bereit sind, in Priština zu arbeiten. Sie wohnen in der serbischen Enklave Gracanica und pendeln täglich in die Stadt. Mihailovic, ein hagerer Mann mit Nickelbrille, gibt offen zu, dass RTV Priština früher ein propagandistisches Sprachrohr des Belgrader Regimes gewesen ist. „Das heutige Programm ist völlig anders. In den Nachrichten bringen wir alles, Meldungen über Massengräber von Albanern genauso wie über Verbrechen an den Serben. Wir wollen eine Botschaft der Hoffnung senden, keine Botschaft des Hasses.“

Mihailovic meint, die Sendungen würden die schrumpfende serbische Bevölkerungsgruppe ermutigen, im Kosovo zu bleiben. Von den über 200.000 Serben, die vor dem Krieg im Kosovo gelebt haben, sind heute nach UN-Angaben keine 50.000 mehr geblieben, und täglich ziehen noch mehr von ihnen weg. Die Journalisten in Priština trauen sich nicht, ihren Beruf offen auszuüben oder auf der Straße Serbisch zu sprechen. „Wir hoffen, das wird sich ändern“, meint Mihailovic. „Deshalb sind wir ja hier, um die Gefühle zu besänftigen.“

Im Kosovo sind mindestens sechs unabhängige Radiostationen entstanden. Radio 21 ist das Lieblingskind der internationalen Gemeinschaft. Um sein Studio zu erreichen, muss man sich in dem ausgeplünderten Hochhaus des Rilinda-Zeitungsverlags strapaziöse 15 Treppen hochschleppen. Der Sender erhält großzügige Subventionen von der britischen und der US-Regierung, aber auch von der Soros-Stiftung und anderen Quellen. „Unser Ziel ist es, in Kosova eine Zivilgesellschaft aufzubauen“, sagt die Sendeleiterin Aferdita Kelmendi, die das von den Soros-Leuten geförderte Vokabular offenbar perfekt beherrscht.

In den Räumen wimmelt es von jungen Leuten, die mit modernster Technik ein Rundfunkprogramm von täglich 24 Stunden produzieren. RTV 21 ging im Kosovo im Mai 1998 auf Sender. Nachdem die Redaktion im Frühjahr 1999 vor die Tür gesetzt wurde und die Studios von bewaffneten serbischen Kräfte verwüstet worden waren, ließ sich der Sender in Makedonien nieder. Seit Mitte Juli ist er zurück in Priština.

Ein Standardprogramm von Radio 21 sind die Life-Sendungen mit Hörerbeteiligung per Telefon, die sich als ungeheuer populär erwiesen haben. „Jahrelang mussten die Stimmen der normalen Menschen im Kosovo schweigen“, sagt Aferdita Kelmendi. „Dies sind offene Hörerprogramme, die den Leuten die Chance geben, über alles zu diskutieren. Sie haben ein Recht darauf.“

Sehr beliebt sind Sendungen mit Hörerbeteiligung

Radio 21 und die übrigen unabhängigen Medien werden nicht – wie RTV Priština – der OSZE-Verwaltung unterstellt sein. Aber Journalisten wie Aferdita Kelmendi haben Probleme mit der Aufsichtsrolle der OSZE: „Das Wort 'beaufsichtigen‘ ist nicht gut. Wenn dich jemand beaufsichtigt, dann beobachtet dich jemand, um dich zu erwischen.“ Sie versichert, sie wolle durchaus eng mit der OSZE zusammenarbeiten, aber von Gleich zu Gleich.

Kelmendi ist Mitglied eines Medienausschusses, der die OSZE beraten will. Die OSZE behauptet, ihre Hauptfunktion bestehe darin, Journalisten auszubilden und neue Medienstrukturen aufzubauen. Aber sie werde auch eine regulierende Aufgabe wahrnehmen und über die entsprechenden Durchsetzungmechanismen verfügen. „Propagandasendungen wird es auf keinen Fall geben“, sagt Udur Gunnarsdottir, die Sprecherin der OSZE-Mission im Kosovo. „Wir versuchen sicherzustellen, dass Radio Pristina unparteiisch ist. Es ist ungeheuer wichtig, dass wir keine hasserfüllten Reden zu hören bekommen.“

Da die OSZE die Verhaltensmabregeln oder Richtlinien erst noch ausabeiten muss, ist bislang unklar, was man unter „hasserfüllten Reden“ zu verstehen hat oder was man dagegen zu unternehmen gedenkt. Westliche Gruppen, die für Redefreiheit eintreten, halten der internationalen Organisation vor, sie würde sich die Rolle eines Zensors anmaßen, also die Redefreiheit beschneiden und damit den autoritären Führern der Region einen bedenklichen Präzedenzfall servieren. Wenn die OSZE die Inhalte vorschreiben und Zeitungen oder Rundfunkstationen wegen „unangenmessener Inhalte“ schließen darf, können nationalistische Führer für sich dasselbe Recht beanspruchen.

„Wir werden die Medien hier ganz bestimmt nicht zensieren“, meint Gunnarsdottir, „wir üben keine Zensur aus und wir haben es auch in Zukunft nicht vor, aber wir wollen wissen, was vor sich geht.“ Dies sei der einzige Weg zur Versöhnung zwischen den Völkern. „Hier gibt es keinen Frieden und keine multiethnische Gesellschaft, wenn wir hasserfüllte Reden und Sendungen zulassen, die den Friedensprozess untergraben.“

Für die immer bunter werdende Printmedienszene des Kosovo sollen die OSZE-Richtlinien nicht gelten. Aber die Programminhalte des Fernsehens, das bald den Sendebetrieb aufnehmen soll, werden diesen Mabstäben unterliegen. Wenn es so weit ist, wird die internationale Gemeinschaft knallharte Entscheidungen treffen müssen.

Die einzigen Fernsehnachrichten über das Kosovo in albanischer Sprache liefert derzeit das TV Shiptare. Der Sender steht in Tirana, und seine allabendlichen Nachrichten sind über Satellit im ganzen Kosovo zu empfangen. Das Programm ist ein politisches Instrument der albanischen Regierung und unterstützt hemmungslos einseitig die provisorische Regierung unter Hashim Thaci, dem politischen Chef der inzwischen aufgelösten UÇK. Gegner Thacis wie dessen Rivale Bujar Bukoshi werden auf bösartige Weise attackiert.

Außer Nachrichten sendet TV Shiptare auch Videoclips, von denen einige unverblümt chauvinistisch sind. Ein Clip mit der kosovarischen Sängerin Leonora Jakupi präsentiert bluttriefende Fotos von toten Babys und Soldaten oder einen Grabstein mit der Inschrift Kosova, von dem künstliches Blut herunterläuft. Ob diese Videos als „hasserfüllte Reden“ gelten können, ist zweifelhaft, aber dem Geist ethnischer Versöhnung sind sie ganz bestimmt nicht dienlich.