Allein unter Tätern

Der Stiftungsrat hat das Sagen über das Holocaust-Mahnmal. Nun ist die Frage, wie viel Lea Rosh zu sagen hat  ■   Von Uta Andresen

„Man bekommt eine Ahnung davon, wie es ist, allein zu sein. So muss es gewesen sein, zwischen 1933 und 1945 als Jude, als Homosexueller.“

Sie muss einen guten Tag haben. Oder es liegt daran, dass ihr das Parlament gegeben hat, was sie will. Vielleicht ist aber auch nur das Licht, das durch die hohen Fenster auf die terracottafarbenen Läufer fällt: Lea Rosh scheint milde, fast sanft.

Noch einen Tag zuvor hieß es: Foto nur dieses eine, kein anderes, wenn doch, dann nur nach Ansicht. Wochen davor hieß es: Porträt nicht jetzt, vielleicht in ein paar Wochen, wenn doch, dann nur nach Ansicht des Textes. Nur so, sonst nicht. Dann doch. Das passte. Das passte ins Bild, das sich die Öffentlichkeit von Lea Rosh über Jahre gemalt hat. Hier ein wenig Zicke, dort etwas Krawallschachtel. So, fertig. Fertig?

„Blinde Gedenkdomina“, schrieb Der Spiegel, „militante Philosemitin“, das Hamburger Abendblatt, „Chef-Antreiberin für eine zentrale Bußstelle in Berlin“, Die Woche. In den letzten Jahren wurde nichts ausgelassen, was die Person Lea Rosh treffen konnte. Dabei ging es natürlich nur um die Sache, nie um die Person. Nur dass es der Person eben auch um die Sache ging: das Mahnmal.

Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, sagt Lea Rosh. Das Mahnmal für sie selbst, sagen ihre Gegner.

Und nun das. Sie kopiert Unterlagen – „die brauchen Sie doch“. Sie spricht langsam – zum Mitschreiben. Hört zu. Lächelt. Sagt: „Ach wissen Sie, ich bin da guter Dinge. Wir werden uns schon einigen, wie der Stiftungsrat für das Mahnmal besetzt werden soll.“ Bitte? Darum hatte es doch bereits Streit gegeben in den letzten Wochen, gleich nachdem feststand, dass das Mahnmal nun gebaut wird. Darüber wird doch nun zäh verhandelt im Kulturausschuss des Bundestages. Schließlich entscheidet der Stiftungsrat, wie der „Ort der Information“ neben dem Mahnmal am Brandenburger Tor gestaltet werden soll. Ob dort die Shoah Foundation von Steven Spielberg Videos von Holocaustüberlebenden zeigen darf. Was Lea Rosh nicht will. Ob dort Sinti und Roma, Behinderte und Homosexuelle, Widerständler und Zeugen Jehovas als Opfer der Nationalsozialisten erwähnt werden dürfen. Was Lea Rosh nicht will. Der Stiftungsrat soll zum Großteil mit Vertretern des Bundes besetzt werden. Für den Förderkreis um Lea Rosh soll es lediglich eine Stimme von zwanzig geben. Was Lea Rosh ebenfalls nicht will. Und nun das. „Wir werden uns einigen“, sagt sie, gewiss, gelassen, als ob sie wüsste, dass es auch diesmal kommen wird, wie es immer gekommen ist, die letzten zehn Jahre: Am Ende wird man sich doch einigen, Kompromisse schließen.

Kompromisse schließen. Das aber, heißt es über sie, kann sie am allerwenigsten. Nicht als Direktorin des NDR-Funkhauses Hannover, wo sie erst einmal die inoffizielle Niedersachsenhymne „Wo fielen die römischen Schergen, wo versank die welsche Brut? In Niedersachsens Bergen, an Niedersachsens Wut“ nur noch ohne Text ausstrahlen ließ. Den empfand sie als „faschistoid“. Schon gar nicht als Protagonistin in einer Debatte um die deutsche Schuld, in der sie nicht gewillt war, sich Kritik anzuhören. Nicht einmal von dem deutschen Juden Rafael Seligmann, der „genug von dieser Schmetterlingssammlerliebe“ hatte, „die die Juden ausschließlich als Opfer begreifen will und sie so innig herzt, dass den lebenden Juden die Luft zum Atmen wegbleibt“. Als Rafael Seligmann und Lea Rosh in einer Aspekte-Sendung sitzen und Seligmann sagen will, warum er das Mahnmal nicht will, fährt Rosh dazwischen: „Acht Minuten! Schluss!“

Kompromisse schließen. Das tue sie doch, sagt Lea Rosh. Seit 1989, seitdem sie gemeinsam mit dem Historiker Eberhard Jäckel einen Freundeskreis um sich versammelte, der den ermordeten Juden Europas ein Mahnmal setzen will. In Berlin, unübersehbar. Seitdem es einen Wettbewerb gab mit 528 Vorschlägen, aus denen einer ausgesucht wurde, den Altbundeskanzler Helmut Kohl ablehnte, woraufhin eine zweite Runde ausgelobt wurde, deren Siegerentwurf dann abgeändert werden musste. Warum ein Mahnmal? Genügen nicht Sachsenhausen, Buchenwald, Neuengamme? Für wen das Mahnmal? Für alle Opfer des Nationalsozialismus? Nur für die Juden? Wie groß das Mahnmal? Gigantisch? Bescheiden? „Diskussion, Diskussion, Diskussion“, sagt Lea Rosh. Das sieht richtig vergnügt aus, wie sie da so sitzt und lächelt. So, als sei diese ganze quälerische Debatte, die ein Jahrzehnt die Talkshows und Zeitungen füllte, nichts als ein sommerliches Geplauder gewesen. So, als habe sie nie mit inszenierter Müdigkeit in der Stimme erklärt, warum die Juden zuerst und dann die anderen Opfer des Naziterrors geehrt werden müssen und damit Opfer erster und zweiter Güte eingeführt. So, als habe sie nie deutlich gemacht, dass wer am Mahnmal zweifelt, ein Antisemit sei.

Es war bei einem Kolloquium in Berlin, 1997. Da bescheinigte der Historiker Christian Meier Lea Rosh und ihren Mitstreitern „den gleichen unerbittlichen Geist, den die SS-Leute hatten“. Schiller, Galinsky, Grimme, Carl von Ossietzky, Geschwister Scholl – sieben Preise hat Lea Rosh dafür erhalten, dass sie mit ihren Filmen wie „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ und ihrem Engagement den Deutschen ihre Schuld unvergesslich macht. Und dann der SS-Vergleich! Zum Glück, sagt Lea Rosh, sei sie zäh. Und um das zu belegen, erzählt sie eine Geschichte. Diese: Ende der Vierzigerjahre, der Krieg ist vorbei, hockt Lea Rosh stundenlang auf Fluren, in Amtsstuben, redet mit Behördenmenschen, wälzt Akten – erstreitet für ihre Mutter eine Opferrente. Lea Rosh ist dreizehn. „Andere Kinder gingen spielen“, sagt sie. Sie sagt das langsam, wehmütig, wärmt ihre Hände an der Teetasse. Eine Geste, die harmoniert – mit der Geschichte, nicht aber mit der kuscheligen Wärme in der großen Altbauwohnung im Berliner Villenviertel Zehlendorf.

Lea Rosh, an deren rosé-weißer Leinenkombination die einstige Moderedakteurin noch gut zu erkennen ist, sitzt in ihrem Korbsessel, ein Bein untergeschlagen, und erzählt: fröhlich von Italien, wohin sie gerne fährt, des Rotweines wegen; ernst von Sobibor, wohin sie fuhr, um die Vernichtungsstätte mit eigenen Augen zu sehen, ihrer Filme wegen. Nie aufgeregt oder schrill. Nie ausladend gestikulierend. Eher kontrolliert.

Warum dann gibt es dieses wenig harmonische Bild von ihr?

Lea Rosh sagt, es ist ein Problem, sich als Frau in eine solche Kontroverse einzumischen. Da ziehe man Feuer auf sich. „In so einer Sache macht man sich immer anfechtbar und alle meinen, man sei als Frau hilfloser, empfindlicher.“ Kann sein.

Könnte aber auch sein, dass es ein Problem der räumlichen Distanz ist. Wenn sie nicht im Sessel gegenüber sitzt, sondern am Telefon oder Mikrofon. Je größer die Distanz, die Lea Rosh von ihrem Gegenüber trennt, desto mehr gewinnen ihre Aussagen an Schärfe. „Nur Geschichtsblinde packen alles zusammen“, sagt sie, als bekannt wird, dass Kulturstaatsminister Michael Naumann in dem „Ort der Information“ auf dem Gelände des Mahnmals auch die Homosexuellen, Behinderten und Regimegegner, Sinti und Roma gewürdigt sehen will. Weil sie wohl meint, dass Aussagen scharf sein müssen, damit sie ihre Wirkung erzielen. „Wissen Sie, die Leute beschäftigen sich nicht genau genug mit dem Holocaust, die werfen alles in einen Topf, wollen alles in ein Denkmal packen, dann sind sie es los.“ Weil man etwas nur bekommt, wenn man sagt, was man will. „Nein, es ist nicht das Denkmal für alle Opfergruppen. Nein, es ist das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.“

Könnte sein, dass es ein Problem der Rhetorik ist. Die ist geschliffen – und soll schmerzen. „Mahnmal nein – Stadtschloss ja. Und das als Minister einer sozialdemokratischen Koalitionsregierung, stellen Sie sich das einmal vor“, sagt sie und meint wieder Naumann.

Könnte sein, dass es ein Problem der Grenzziehung ist. Die nimmt Lea Rosh schnell vor – und strikt. Freund oder Feind. Wer das Mahnmal nicht so will wie sie, der will keines. Kulturstaatsminister Naumann zum Beispiel will mehr als 20 Millionen Mark für das Mahnmal ausgeben. Das will Lea Rosh nicht. „Wir möchten es bescheiden, den Kostenrahmen niedrig halten“, sagt sie. Zu viel kann auch verkehrt sein. „Nicht dass durch die Hintertür doch ein Denkmal für alle Opfergruppen geschaffen wird.“

Auf keinen Fall aber ist es ein Problem des Tonfalls. Der ist gewinnend, werbend, wird umso weicher, je härter die Aussage.

Es muss besonders geschmerzt haben, als Rudolf Augstein schrieb, sie sei „allenfalls Vierteljüdin“ und auf die Seite der Opfer gewechselt. Als er spekulierte, ob sie nun „Rosh“ oder „Rohs“ heißt – und den Fehler beging, sich für „Rohs“ zu entscheiden. Da erwirkte Lea Rosh eine Gegendarstellung – und bekam Recht. Als er darüber spekulierte, warum sie wohl den „schönen Namen Edith“ gegen „Lea“ eintauschte. „Weil er der schönste, der schlichteste meiner vier Taufnamen ist“, sagt Lea Rosh. Es war nicht die Polemik Augsteins, die traf. „Das war Antisemitismus“, sagt sie und hatte damit die Grenze gezogen. Hier die Opfer, dort die Täter. Hier Lea Rosh, dort Rudolf Augstein. „Man bekommt eine Ahnung davon, wie es ist, allein zu sein, niemanden zu haben, der einem hilft. Ich habe gedacht, so muss es gewesen sein, zwischen 1933 und 1945 als Jude, als Homosexueller.“

Was traf, war, dass Augstein ihr mit dem „allenfalls“ keine Familiengeschichte zugestand. Die Geschichte vom jüdischen Großvater, der Opernsänger war, 1926 „Mein Kampf“ las und seiner Tochter sowie Schwiegersohn noch im gleichen Jahr Auswanderungspapiere besorgte, „die meine liebe, dumme Mutter wegwarf“, wie Lea Rosh sagt. Die Geschichte von der Mutter, die als „Halbjüdin“ von den Nazis verhaftet wurde, Glück hatte und freikam. Oder die von den Eltern, die sich 1944, der Fronturlaub war vorbei, am Bahnhof verabschiedeten. Die Mutter sagte: „Ich versteck dich“, der Vater weinte. Er kam aus Polen nicht zurück. „Mein Traum war immer, ich sitze neben meinem Vater in der Straßenbahn und er bezahlt das Fahrgeld für mich“, sagt Lea Rosh. Die Geschichte von der Tante, von der Lea Rosh nur sagt, dass sie in Theresienstadt umgekommen sei.

Lea Rosh saß bei Bundespräsident Roman Herzog. Es war 1995, und sie redete über Fundraising. Erzählte dem Bundespräsidenten, dass jetzt, wo das Mahnmal komme, man Geld brauche. Dass man dazu die Wirtschaft gewinnen sollte. Dann wurde Helmut Kohls Veto zum Mahnmalsentwurf vermeldet und Lea Rosh wollte „alles hinschmeißen“.

Aber so leicht hört man nicht auf, wenn man schon so lange dabei ist. Nicht nach all dem, nach der Dampfwalze, Trauerarbeiterin, Philosemitin. „Zu viele Jahre des Kampfes, der Auseinandersetzung.“ Der Holocaust sei ein Thema, von dem sie nicht mehr loskomme, sagt sie. „Man kommt immer wieder zu neuen Erkenntnissen, wenn man eine Tür aufstößt, wartet da schon die nächste.“ Nur dass Lea Rosh die Türen der Erkenntnis nie zur Wissenschaft führten, sondern stets zum Lobbyismus. Oft genug zur Polemik.

Lea Rosh ist jetzt 62 Jahre. „Ich muss arbeiten.“ Ein Buch zur Herbstmesse, dann Lesungen, Studiodiskussionen, Filme. Thema? Mahnmal, Mahnmal, Mahnmal. „Vielleicht engagiere ich mich danach für die Opfer der Euthanasie“, sagt sie. Denn, und das sei ja wohl klar, die anderen Opfergruppen müssten auch geehrt werden. Jede einzeln.