„Da kommt dorftrottelhafte Uncoolness rüber“

■ Ted Gaier über den FC St. Pauli, den SSV Ulm und das Nervige am deutschen Fußball

Morgen um 19 Uhr tritt in der dritten DFB-Pokal-Runde der SSV Ulm am Millerntor gegen den FC St. Pauli an. Grund genug, Ted Gaier nach seinen Ansichten zu befragen. Der Gitarrist der Hamburger Diskurs-Pop-Combo "Die Goldenen Zitronen" ist in Ulm aufgewachsen und stürmte in seiner Jugend für den TSV Blaustein und den TV Wieblingen.

taz: Schon den Ulmer Schal ausgepackt?

Gaier: Nein. Ich bin morgen Abend unterwegs, leider. Denn die Art, wie der SSV Fußball spielt, gefällt mir.

Genauer bitte.

Es wird methodisch gespielt, ähnlich wie in Freiburg. Der SSV zeigt, dass man mit durchschnittlich begabten Spielern guten Fußball spielen kann – wenn man nur eine Systematik verfolgt. In Freiburg ist Volker Finke dafür verantwortlich, in Ulm war es Ralf Rangnick, der den Systemfußball eingeführt hat. Finke und Rangnick, beide sind intellektuelle Typen.

Lehrer-Typen.

Okay, vor allem Rangnick wirkt manchmal oberschlau. Die beiden sind aber deutlich besser als die Werner Lorants. Die sind doch das Nervige am deutschen Fußball.

Der SSV hat mit dem Schweizer Trainer Martin Andermatt den Aufstieg in die Bundesliga geschafft.

Andermatt hat nicht viel verändert am Ulmer Fußball-Konzept. Auffällig ist, wie ungeschickt sich die Ulmer im Interview verhalten, auch Martin Andermatt. Da kommt, im Vergleich zu anderen Clubs, immer eine dorftrottelhafte Uncoolness rüber, bei Andermatt noch gepaart mit Schweizer Zurückhaltung.

Was ist mit dem FC St. Pauli?

Kann man sich nicht angucken. Unansehnliches Gerackere, bei dem nur Schweiß fließt und Kraftausübung erkennbar ist. Da ist im Spiel deutlich die autoritäre Linie erkennbar, in der die meisten Trainer und Verantwortlichen stehen. Die Fans heben sich mit ihrer Leidensfähigkeit und ihrer Selbstironie positiv davon ab. Aber wenn man Fußball als Schicksalsgemeinschaft definiert, wie beim FC St. Pauli, stellen sich bei mir unweigerlich Schützengraben-Assoziationen ein.

Bei Ulm nicht?

St. Pauli wirkt wie Männerkult, die Mystifizierung des Emotionalen, die Sehnsucht nach Rohem. Musikalisch betrachtet: Millerntor und Donaustadion, das ist Grunge-Rock versus Brit-Pop auf einem mäßigen Level. Im Zweifelsfall ziehe ich das Elegantere vor.

"Wir sind die Ulmer Spatzen, wir singen und wir klatschen", ist ein Schlachtruf der SSV-Fans. Nicht gerade avantgardistisch.

Von den Fans sollte man nicht zu viel erwarten. Ulm ist eine wirklich enge Stadt, mit protestantisch-kaufmännischer Tradition. Was Weltläufigkeit angeht, stößt man an Grenzen. Ulm hat keine Denktradition. Von Projekten wie der progressiven Bauhaus-Schule war niemand begeistert. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger hat die Design-Schule 1968 dicht gemacht – symptomatisch für Ulm. Da wird Mittelmaß kultiviert, alles andere wirkt suspekt.

Interview Rainer Schäfer