Jetzt steht uns die Welt wieder offen“

Die albanischen Studenten und Professoren sind an die Universität von Pristina zurückgekehrt. Im neuen Studienjahr ist man unter sich. Denn die serbischen Kollegen haben sich nach Mitrovica zurückgezogen  ■   Aus Pristina Erich Rathfelder

Die Bibliothek der Universität von Priština hat den Krieg fast unbeschadet überstanden. Im modernen Zentrum der Stadt gelegen, fällt sie durch die unzähligen weißen Kuppeln auf, die das Dach des asymmetrischen, verspielt anmutenden Gebäudes bilden. Sie sehen aus wie die Hüte der Albaner, jene aus Filz gepressten Käppis, die nur den Hinterkopf bedecken.

„Der Architekt hat jedoch nicht die Hüte gemeint. Die durchsichtigen und allen Räumen Licht spendenden Kuppeln symbolisieren vielmehr Gehirne, das Denken, die Kultur“, sagt der 48-jährige Fadil Sopi, der die Aufgabe hat, Besucher durch das Gebäude zu führen. Die Treppe führt hinauf in den zentralen Saal, wo die Karteien stehen. Der runde Raum, von der größten aller Kuppeln bedeckt, ist mit halbmeterlangen, verschiedenfarbigen und sich nach innen verjüngenden Marmorstücken ausgelegt, die Buchrücken gleichen sollen. Von oben gesehen fügen sich die Steine zum schneckenförmigen Muster der Illyrer, den antiken Albanern, wie es die Albaner sehen. Diese Symbolik befindet sich auch in den Holzarbeiten der Wände. Muslim Muliqi, der Architekt, komponierte ein Gebäude, das auf allen sieben Stockwerken aus kreisförmigen Räumen besteht.

Der Bau, der in den Siebzigerjahren entstanden ist, wurde gleich nach seiner Fertigstellung ein Symbol für die Gleichberechtigung der Albaner. Als der kommunistische Staatsführer Tito 1974 die politische Autonomie für das Kosovo durchsetzte, sollte endlich die Kultur der Albaner anerkannt werden, die vorher nicht nur in Serbien, sondern auch im kommunistischen Staat Jugoslawien allgemein von oben herab, der slawischen gegenüber als nicht ebenbürtig betrachtet wurde.

Da mit der Aufhebung der Autonomie durch Miloševic 1989 auch in Bezug auf Sprache und Kultur das Rad der Geschichte zurückgedreht wurde, mussten 1991/92 die albanischen Studenten und Professoren die Universität verlassen. Sie gründeten eine Untergrunduniversität, die von der serbischen Polizei zwar behindert, vom Regime jedoch im Grundsatz geduldet wurde. Fast 20.000 albanische Studenten mussten damals in Kellerräumen von Privathäusern unterrichtet werden. Immerhin gelang es trotz des Geld- und Raummangels den Betrieb der albanischen Universität bis zum März dieses Jahres aufrechtzuerhalten.

Vor allem albanische Bücher sind verschwunden

Die 1991/92 weitgehend von Albanern „gesäuberte“ Universität wurde in der Folgezeit durch serbische Studenten genutzt. Dabei wurden viele von ihnen durch Stipendien aus der Krajina, Bosnien und Serbien hierher gelockt. Mit dem Abzug der serbischen Streitkräfte im Juni dieses Jahres verließen auch diese Studenten das Land.

Während die osmanische Bibliothek in Peja (serbisch: Pec) abgebrannt und viele Jahrhunderte alte Werke aus Wissenschaft und Kultur unwiderbringlich verloren gegangen sein sollen, steht die Bibliothek in Priština glücklicherweise noch. „Es wurden lediglich einige Räume demoliert, das ist reparabel“, sagt Fadil Sopi.

Mehr Sorgen macht ihm der Bestand der Bücher. Von den über eine Million Bänden wurden mehr als 300.000 nach Serbien gebracht. „Sie haben vor allem die Bücher in albanischer Sprache mitgenommen, auch die Zeitungen und Zeitschriften, die Bücher in serbischer Sprache sind noch hier.“ Die Perfidie des serbischen Herrschaftssystems zeige sich auch in diesem Detail.

Schon vor Semesterbeginn am 18. Oktober sind die Leseräume mit 700 Studenten voll besetzt. Die albanischen Studenten haben die Bibliothek wieder in Besitz genommen. So bereitet sich der 19-jährige Fadil aus Mališevo auf seine Zwischenprüfung im Fach Ökonomie vor. Er ist jetzt im vierten Semester. Er freut sich darüber, hier sein zu dürfen. Die Atmosphäre sei einmalig, sagt er, vor allem die Ruhe, die durch die Architektur vermittelt wird.

Auch Vjosa aus Skenderaj (Srbica) studiert Ökonomie. Sie hatte noch während der Flucht nach Albanien einige Bücher mitgenommen. „Ich habe im Flüchtlingslager für die nächste Prüfung gelernt.“ Am 22. Oktober hofft sie diese zu bestehen.

Der afrikanische Polizist am Eingang des Rektorats der Universität ist misstrauisch. Er hat die Anweisung, niemandem, der nicht zu den hier Beschäftigten gehört, in das Gebäude hineinzulassen. Seit einer Woche bewachen internationale Polizisten das Gebäude. Und die internationale Polizei hat strenge Regeln. Nur durch die Überredungskünste von Professor Ahmet Geca gelingt es, doch Einlass zu erlangen.

Freundlich führt Ahmetz Geca durch die Räume, oder durch das, was von ihnen übrig geblieben ist. Das Telefonsystem ist zerstört, manche Stühle zerschlagen, die Geräte für den naturwissenschaftlichen Betrieb oder jene für die Mediziner sind entwendet. „Sie haben auch alle Unterlagen mitgenommen“, sagt der Professor für Metallurgie, „die Unterlagen über Studenten und Prüfungen auch aus alter Zeit.“

Alma Geca war damals Dekan an der naturwissenschaftlichen Fakultät. Am 17. Juli 1991 wurde er entlassen. Der Schmerz darüber immer noch zu spüren. „Sie wollten unsere Kultur zerstören.“ In zugigen Kellerräumen versuchte er dann den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Forschung war nicht mehr möglich. Gerade die Naturwissenschaften seien auf Labors und Versuchsgeräte angewiesen. „Die Bevölkerung hat uns geholfen, wir haben aber über Jahre ohne Gehalt gearbeitet.“ Jetzt sitzt Ahmet Geca wieder in den alten Räumen. Und blickt nach vorn.

„Wir müssen zunächst die Gebäude notdürftig in Stand setzen, immerhin sind 17.000 Studenten und rund 1.000 Professoren zu betreuen,“ sagt er. Viele der Gebäude seien zerstört, die wichtigsten Geräte aus den Labors verschwunden. „Die werden wir nach und nach ersetzen.“ Die internationale Administration habe bisher 4 Millionen Euro für die Universität zur Verfügung gestellt, das kalkulierte Minimum für das kommende Studienjahr belaufe sich auf 32 Millionen Mark. Die Gehälter für die Professoren seien mit 300 Mark festgelegt. „Das ist minimal, aber immerhin etwas“, sagt er.

14 Fakultäten gebe es, dazu noch sieben Hochschulen. Die meisten Professoren seien zurückgekehrt, manche von ihnen arbeiteten gleichzeitig an der albanischen Universität im makedonischen Tetovo. Man habe auch andere Auslandskontakte geknüpft, so zu einigen Universitäten im deutschsprachigen Raum. „Die Abteilung für Germanistik, die von den Serben aufgelöst wurde, wird wieder erstehen.“

Serbische Studenten seien nicht mehr eingeschrieben, wohl aber einige anderer Minderheiten. Nach wie vor sei Serbisch eine gleichberechtigte Sprache an der Universität.

Doch es ist Ahmet Geca anzumerken, dass sein Statement, es handele sich um eine multikulturelle Universität, die allen Studenten offen stehe, etwas gezwungen ist. Die Narben sind noch nicht verheilt. „1996 hatten wir Hoffnung, als Ibrahim Rugova mit Miloševic ein Abkommen über die Erziehung ausgehandelt hatte. Darin war festgelegt, dass die Universität wieder für alle offen sein sollte und die Schulgebäude von beiden Seiten genutzt werden können.“

Doch das Abkommen sei niemals umgesetzt worden. „Es wurde von den Serben blockiert, nur einige Gebäude wurden übergeben. Als die serbischen Studenten im April 1998 aus dem Gebäude der Technischen Universität abzogen, verbrannten sie nicht nur die meisten Bücher, sondern sie demolierten auch die Geräte, das Mobiliar und selbst die Fensterscheiben.“

Die Studenten denken kaum an politische Konflikte

Die Forderung der internationalen Seite, es solle eine gemeinsame Universität geben, werde von den Serben unterlaufen, sagt er. Wie dies aber unter den jetzigen Umständen funktionieren sollte, bleibt im Dunkeln. Es wäre zur Zeit wohl schwierig, serbische Studenten in der Stadt vor Übergriffen durch albanische Extremisten zu schützen. Die Serben haben sich nach Mitrovica und Zvedjan zurückgezogen und benutzen dort die Gebäude der zur Universität Priština gehörenden Technischen Fakultät.

15.000 serbische Studenten haben nach serbischen Quellen vor ihrem Abzug in Priština studiert. Ein Teil von ihnen studiert jetzt in Mitrovica, auch ein Teil der ehemals 1.500 Professoren hat sich dort niedergelassen. Der ehemalige serbische Rektor der Universität Priština, Professor Krul, hat sich zurückgezogen, es wurde mit Jagos Zelenovic ein neuer Rektor bestimmt, der dem Regime in Belgrad sehr nahe stehen soll.

Über direkte Kontakte verfüge man bisher nicht, sagt der albanische Professor. Die UN-Mission im Kosovo versuche aber, diese herzustellen und die Universitätsleitungen beider Seiten an einen Tisch zu bringen. In Wirklichkeit werde mit der serbischen Universität von Mitrovica nur die Teilung der Stadt Mitrovica verstärkt.

Die albanischen Studenten, die auf den Treppen der Bibliothek die noch warmen Sonnenstrahlen des Herbstes genießen, machen sich über diese politischen Konflikte keine großen Gedanken mehr. Sie sind froh, endlich wieder „normal“ studieren zu dürfen. So wie Edina, die aus der Region von Rahovec (Orahovac) stammt. Die 21jährige will einmal Journalistin werden. Jetzt lebe sie in dem Haus eines Verwandten, die Eltern täten alles dafür, dass sie studieren könne. „Sie sehen ein, dass es auch für Mädchen sehr wichtig ist, die Universität zu besuchen, um später vorwärts zu kommen.“ Fast ein Drittel der Studierenden seien Frauen. Obwohl sie selbst nach Albanien fliehen musste, spürt sie keinen Hass auf serbische Studenten. „Die meisten Studenten haben jetzt die gleichen Probleme wie wir, vielleicht werden sie später wieder zurückkommen.“

Locker geht es zu, die jungen Leute flirten und lachen. Ekrem träumt sogar von einem Stipendium im Ausland, die internationalen Organisationen hätten Hilfe versprochen. Er vertraut darauf, in ein oder zwei Jahren in Wien oder Paris studieren zu dürfen. „Die Welt steht uns wieder offen, das ist das Beste an der ganzen Entwicklung.“ Und wenn er dort auf Serben träfe? „Dann wären wir zwar keine Freunde, doch ich würde schon mit ihnen reden wollen.“ Und er geht wieder zurück in den Lesesaal mit den Kuppeln, dem Symbol für Lernen und Kultur.