Veganertempel

■ Endlich, endlich hat Berlin auch einen

Sylvia ist eindeutig nicht der Typ, der Fleischern die Scheiben einschmeißt. Sie erinnert sich, dass sie im Verwandtenkreis sogar einmal angekündigt hätte, von einer artgerecht aufgezogenen Ente kosten zu wollen. Als das – ganz sicher mit einem entspannten Lächeln um den Schnabel verstorbene – Tier dann auf dem Teller lag, „konnte ich dann aber doch nicht“, sagt sie.

Heike hätte sich dergleichen natürlich nicht angetan. Aber sie nickt immerhin mitfühlend. Bei den Themen „Hähnchen am Spieß sind supereklig“ und „Leberwurst ist extrem Scheiße“ herrscht Konsens.

Dennoch, Leute, die soeben den ersten „Vegan-Laden“ Berlins eröffnet haben, stellt man sich anders vor; als graue, hohlwangige Mangelerscheinungen vielleicht, in deren Augen das ewige Feuer des religiösen Fanatismus lodert. Diät-Mudschaheddin sozusagen. Aber es ist den beiden jungen Frauen nun mal nicht anzusehen. Heike erklärt das so: „Vegane Ernährung enthält alle Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Proteine sind kein Problem. Vitamin B 12 könnte ein Problem sein. Aber da kann man Hefetabletten essen. Oder Hefe pur.“ Wer's mag.

Wenigstens das Ambiente stimmt: Man steigt hinab ins Tiefparterre, geht durch den „Anarchistischen Laden“, wo „Graswurzelrevolution“ geübt wird, und dann steht man in einer vielleicht acht Quadratmeter großen Kammer zwischen dreieinhalb Holzregalen. Der Verkaufsraum. Links oben liegen koschere Kondome, die ohne grausig-obszöne Testreihen an Aalen, Kaninchen oder Elefanten entwickelt wurden. Eine Abteilung tiefer stehen Synthetikschuhe für zwischen 98 und 185 Mark. Veganer verabscheuen Leder genauso wie Daunendecken und Honigbonbons beim Zoobesuch.

„Alle tierischen Produkte sind mit Ausbeutung und Leiden von Tieren verbunden“, verkündet Heike. Sylvia ergänzt bitter: „Ein halbes Hähnchen, das kostet vielleicht 4,50 Mark. Da wird für ein paar Pfennige ein Tier ein Leben lang gequält.“ Schrecklich. Erst recht, wenn man an Schweinchen Babe denkt. Und wenn man davon ausgeht, dass die UNO-Menschenrechtskonvention auch für halbe Hähnchen zu gelten hat. „Sehr günstig sind auch unsere Shampoos“, emuliert Sylvia den Kaufhausfunk, nicht zu vergessen die „Bio-Zahncreme“ für nur 4,35 DM. Nahrungsmittel fehlen, aber die bekäme man ja in Naturkostläden. Stattdessen findet sich allerhand Literatur in der Art von „Vegane Kinder – gesund und glücklich“ sowie über entrechtete und geknechtete Tiere. Passend zum Thema sagt Heike, sie kenne eine Frau, die ihren Hund vegan ernährt. „Bei Katzen geht das wohl nicht.“ Im übrigen hätten Fleischfresser einen eher kurzen und geraden, der Mensch dagegen einen langen, verschlungenen Darmtrakt wie beispielweise das Rind. Und kein erwachsenes Tier nähme Milch zu sich: „Wir glauben, Milch ist was für Babies.“ Sylvia hat mal gehört, 80 Prozent aller Schwulen seien vegetarisch. „Das hat was mit Bewusstsein zu tun.“ Diese Schwulen schon wieder. Da staunt sogar Heike.

Sylvia betont: „Dabei sind wir überhaupt nicht genussfeindlich.“ Heike meint, Bitterschokolade sei schon okay, „wenn das Lecithin darin pflanzlich ist“. Es gäbe durchaus Veganer, die Coca-Cola trinken, sagt Sylvia. „Was ist denn dabei?!“ Das klingt schon ziemlich übermütig. Vielleicht sind sie ja wirklich wie wir, nur eben besser, keine Mörder und Folterknechte, weshalb unser schlechtes Gewissen sie natürlich angemessen verhöhnen muss.

Wie um mir auf den rechten Weg („Vegan sein ist ein Prozess“) zu helfen, schenken sie mir einen Aufkleber: „Ich esse nichts, was Augen hat! – Paul McCartney.“ Ich verspreche artig, das Ding an die nächste tierrechtswidrige Frittenbude zu pappen, und dies sogar aus Überzeugung. Denn ein Schnitzel, das mich dumm anglotzt, das würde ich aber zurückgehen lassen, und zwar umgehend.

André Mielke

Veni Vidi Vegi!, Rathenower Straße. 22, 10559 Berlin, Telefon 3946167