Querspalte

■ Liebe westdeutsche Mitbürger,

kann es sein, dass ihr langsam die Nerven verliert? Im Frühjahr brillierte euer Spezialkriminologe Christian Pfeiffer mit der These, wir seien zu manischen Gewalttätern geworden, weil man uns in der Kinderkrippe alle gleichgeschaltet auf den Topf gesetzt hat. Oder so. Den Sommer verschönte eure Diplomhausfrau Gabriela Mendling mit liebenswürdiger Prosa, wonach man bei uns grundsätzlich hässliche Pullover und plüschige Puschen trägt, gezuckerte Weine schätzt und kein Interesse an geistigem Austausch, beispielsweise von Lasagne-Rezepten, hat. Oder so. Jetzt, im Herbst, ruft euer Sondersoziologe Thomas Roethe entsetzt aus, wir seien so stinkfaul, dass nicht mal die knallharte SED uns auf Trab gebracht hat.

Exakt so. Das alles musste gesagt werden. Ihr wollt euch aussprechen. Das sollt ihr auch. Es befreit euch. Und ihr habt einen guten Rhythmus gefunden: den Wechsel der Jahreszeiten. Das ist ganz natürlich und urgesund, und vielleicht gelingt es euch, dabei zu bleiben. Ihr braucht euch für eure Gefühle nicht zu schämen. Jede Regung ist es wert, ins Freie zu gelangen, denn wenn das Übel im Körper verbleibt, dann kann es ihn vergiften. Außerdem seht ihr ziemlich süß aus, wenn ihr wütend seid. Küsschen.

So, das war's schon für heute. Schluss, Pumpe. Ich habe jetzt nämlich keine Lust mehr. Ich werde mich wahrscheinlich hinlegen und mir eine Flasche Murfatlar zuführen. Diese verteufelten Gene, ihr wisst ja. Macht euch bitte keine Sorgen um mein Zeilenhonorar. Ich komme schon klar. Exklusiv für Ostler, die „aus bestimmten Gründen plötzlich die Motivation zur Erwerbstätigkeit“ verlieren, hat die EU nämlich einen Fonds eingerichtet. Aus euren Steuergeldern. Nun seid ihr wahrscheinlich noch etwas wütender. Das ist schön. Es wird euch helfen, ein weiteres Buch zu schreiben. Bis zum Winter. Und denkt bitte immer daran: Ich liebe euch doch alle. André Mielke