Das System macht dicht

Die Ausstellung „HD – High Density“ in der NGBK untersucht die „Risse im realen Raum“, die mit Vernetzungsformen des Computerzeitalters einhergehen  ■   Von Ulrich Gutmair

Im Gegensatz zu manchen Ecken, an denen sich „Metropole“ vor allem als hysterisches Symptom zu gut angezogenen Menschen äußert, ist die Oranienstraße ein recht großstädtischer Ort. Hier herrscht eine Professionalität im Umgang miteinander, die sich als selbstregulierende Lässigkeit an den Kreuzungspunkten von Menschen, Zeichen und Waren beschreiben lässt. Die dort angesiedelten Ausstellungsräume der NGBK sind also nicht der schlechteste Ort für ein Projekt, das sich mit dem „Zusammenhang zwischen Verdichtung, Raum, Stadt und Chip“ beschäftigen will.

High Density wurde gemeinsam von der NGBK, den Freunden Guter Musik und dem Büro 213 als Cluster aus Klanginstallationen, Textarchiven, Video, einer Virtual-Reality-Präsentation und einem begleitenden Katalog konzipiert. Das Problem der Verdichtung wurde dabei vor allem als räumliches ernst genommen. Wo sich sonst ein lang gezogener White Cube präsentiert, steht nun ein Labyrinth aus Karton und Plexiglaselementen. Dessen Bauplan wurde aus der Überlagerung der Struktur des ersten Mikrochips mit der Architektur von Sforzinda, der idealen Stadt der italienischen Renaissance, errechnet.

Das Zusammendenken von Renaissance und Infotechnologie ist nicht unbedingt eine prickelnd neue Idee, funktioniert konkret aber erstaunlich gut. Es riecht gleich nach frisch ausgepackter Unterhaltungselektronik, wenn man eine der beiden mit Klebeband fixierten Kartonschleusen ins Labyrinth nach SimCity nimmt. Das sich dahinter eröffnende System von Wegen und Nischen erscheint manchem Besucher als beängstigend, während sich regressiv veranlagte Menschen hier pränatal wohl fühlen dürfen. Als in die reale Welt zurückprojiziertes Ergebnis von Produktionsprozessen, die zunehmend in den Computer hineinverlagert werden, macht der begehbare Karton den Besucher spürbar zum Nutzer, womöglich gar zum Probanden eines behavioristischen Experiments.

Ovals „Szenarioengine“ präsentiert hier drinnen etwa ein Filesystem als ordnendes Prinzip von Hörresten manipulierter CDs. Von Programmsequenzen gesteuert existieren diese Schnipsel hierarchielos vor sich hin und wollen so jede Vorstellung von „Musik“ durch ein technologisch bedingtes „Audio“ ersetzen, machen dabei die Rechnung aber ohne den interpretierenden User. Die dazugehörigen Visualisierungen der Kölner Grafikerin Frieda Luczak nutzen analog dazu pixelige Sehreste und inszenieren die Stadt als lakonische bunte Ansammlung von Flächen, die in einem Videogame gut aufgehoben wären.

Ein paar Ecken weiter präsentiert der Künstler Andor Carius, dessen Vorname sich auf die logische Operation des Und/Oder bezieht, seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Verdichtungsphänomenen auf CD-Rom. Eine ausgiebige Sammlung von Werbeanzeigen für immer schnellere und damit effizientere Chips und Prozessoren etwa besticht durch ihre visuellen Metaphern und suggestiven Slogans: „So much data, so little time.“ Hier kann man lernen, dass sich die Datendichte auf Mikrochips ungefähr alle 18 Monate verdoppelt. Ähnlich didaktisch geht es in einem Video zu, das diverse Wissenschaftler etwa darüber erzählen lässt, wie so ein Chip überhaupt gebaut wird.

Auf der Klaviatur des Internet spielt dagegen die Installation „summer 99“ von sha., die Klänge aus den umliegenden Kreuzberger Hinterhöfen aufnimmt, über diverse Rechner durchs Netz schickt, manipuliert, verdichtet und schließlich in einen komplett verdunkelten Raum einspeist. Die hier zu hörenden Sounds werden schließlich wieder ins Netz zurückgespielt. Das Spiel mit der Selbstreferenzialität des Netzes generiert fröhliche Erkenntnis vor allem über die sinnliche Erfahrung simultaner sensorischer Deprivation und Überreizung, die sich für kurze Momente durchaus zu einer profunden Orientierungslosigkeit auswachsen kann. Der Katalog spricht von „Rissen im realen Raum“, die die Informationstechniken aufgesprengt haben.

Wenn man diese Risse als Motivationslücken beschreiben will, kann man sie durchaus in der ebenfalls gezeigten Virtual-Reality-Präsentation wiederfinden, die die Überlagerung von Renaissancestadt und Chip noch einmal als buntes 3 D-Szenario errechnet. Darin kann man sich per Maus bewegen – es fragt sich bloß, warum. Die von „High Density“ anfangs gestellte Frage, wie die systemischen Logiken der Rechenmaschinen auf die „reale“ Welt zurückwirken, scheint sich hier wie an mancher Stelle des Katalogs schon wieder in der „Faszination des Unsichtbaren der Prozessierung“ zu verlieren. Die Oranienstraße ist dann plötzlich weit weg. Auf der anderen Straßenseite wartet der türkische Telekomladen derweil auf den nächsten User. HD – High Density, bis 17. 10., täglich 12 – 18.30 Uhr, NGBK, Oranienstraße 25. Der Katalog kostet 20 DM.