Die Zeit der Korkeichen ist vorbei

Im portugiesischen Alentejo suchen Landkooperativen 25 Jahre nach der Nelkenrevolution nach Alternativen. Da die EU kapitalintensiven Anbau fördert, hat die traditionelle Wirtschaft keine Chance mehr  ■   Aus dem Alentejo Antje Bauer

Die Jugendlichen, die heute alle die Schule besucht haben, empfinden die Landarbeit als Fron und wandern ab in die Städte

Am Rand der Hauptstraße sitzen zwei alte Männer in Schwarz, die Hände auf einen Stock gestützt, und schauen, was sich so tut – nicht viel an diesem frühen Morgen. Gegenüber kehrt eine Frau den Bürgersteig, aus der Bar hinter ihnen tönt Tellergeklapper, nur gelegentlich fährt ein Auto die Straße entlang. Die Sitzbank der beiden Alten ist ein rohes, abgenutztes Holzbrett auf zwei alten Holzbeinen. Daneben hat die Gemeindeverwaltung eine moderne, lackierte Bank mit Rückenlehne aufgestellt. Aber sie bleiben lieber bei dieser, dort kennt ihr Sitzfleisch jede einzelne Rille.

„Der Manuel“ sagt der eine auf Anfrage und verschiebt seinen schwarzen Filzhut um ein weniges, „der ist heute um sieben schon aufs Feld gefahren. Die Kooperative macht um acht auf, dann müsste der Manuel herkommen“, fährt der erste fort. „Es ist aber schon acht, und sie ist noch zu“, gibt der andere zu bedenken, „die Läden sind noch geschlossen.“

Ein Auto kommt angefahren, und es gerät Leben in die beiden: Sie winken mit Armen und Stöcken, und ein Passant gibt einen gellenden Pfiff von sich: Das Auto stoppt, ein kleiner, gesetzter Mann steigt aus: „Da ist der Manuel“, sagen die beiden Alten zufrieden.

„Der Manuel“ schließt die Tür zum Häuschen der Kooperative auf. Viel hat sich nicht geändert dort mit den Jahren: ein paar kleine, dunkle Büroräume, Informationen an einem Brett: nur ein Handy hatte er früher noch nicht. Manuel Custodio Bento ist 46 Jahre alt und seit mehr als 20 Jahren Vorsitzender der hiesigen Koop. Als sich am 25. April 1974 die portugiesischen Militärs gegen die Gaetano-Diktatur erhoben, wurden überall im südportugiesischen Alentejo Ländereien der Großgrundbesitzer besetzt – so auch hier, im Dorf Ciborro, nicht weit von der Regionalhauptstadt Evora entfernt gelegen. Aus bitterarmen, häufig Hunger leidenden Tagelöhnern ohne jede Schulbildung wurden Mitglieder von Kooperativen, die das Land der ehemaligen Herren kollektiv bewirtschafteten. Doch ging es mit den Koops schnell bergab. Von ursprünglich mehr als 500 Koops sind nun, 25 Jahre später, etwa 50 übrig geblieben – die in Ciborro ist eine davon.

„Wir müssen schnell machen, ich habe wenig Zeit“, knurrt Manuel – die Alentejaner tragen ihr Herz nicht auf der Zunge. Aber dann lässt er sich doch von der Geschichte seiner Koop hinwegtragen. Seit jeher kämpft man in Ciborro mit denselben Schwierigkeiten, die so vielen Koops den Garaus gemacht haben. Da war zunächst die Frage des Landes. Schon wenige Jahre nach der Revolution verfügte die portugiesischen Regierung, dass die Koops einen Großteil der besetzten Ländereien wieder den ursprünglichen Besitzern zurückerstatten mussten. „Wir hatten mal 9.000 Hektar, und jetzt sind es noch etwa 3.000. Davon gehören 350 Hektar uns, der Rest ist gepachtet“, erläutert Manuel Bento. Auf immer weniger Land sollte eine Anzahl Menschen arbeiten, die schon zu Beginn unter rein ökonomischen Gesichtspunkten nicht rentabel war. „Arbeitskraft ist teuer“, meint Bento, eine überraschende Klage bei einem Kooperativisten. „Ein normaler Betrieb kann Leute durch Maschinen ersetzen, aber wir wollten natürlich so vielen Leuten wie möglich Arbeit verschaffen. Aber dadurch konnten wir mit den anderen Betrieben nicht konkurrieren.“

Als Portugal 1986 der damaligen EG beitrat, geriet die Landwirtschaft verstärkt unter Konkurrenzdruck. Darüber hinaus förderte die EG eine intensive Landwirtschaft, mit hohem Kapitaleinsatz und wenigen Arbeitskräften. Im Alentejo hingegen hatte es immer einen Überschuss an Arbeitskräften und einen Mangel an Kapital gegeben. Die Koops mussten Leute entlassen. Auf einmal genügte es auch nicht mehr, wie in den vergangenen Jahrhunderten, Weizen und Oliven anzubauen, Schafe weiden zu lassen und Kork von den Eichen zu brechen. So versuchte man es mit neuen Kulturen.

„Wir bauen jetzt Salat an und Tomaten, Mais und Zuckerrüben und haben Milchkühe“, sagt Bento, während sein Auto durch einen Feldweg schunkelt. Rechts und links stehen riesige Bewässerungskräne in saftig grünen Feldern. Diese Bewässerungskulturen versprechen bessere Preise als Weizen – aber wehe, wenn es mal ein paar Winter zu wenig regnet, wie erst kürzlich geschehen, und die kleinen Stauseen austrocknen. Dann ist es mit der Ernte vorbei.

Überhaupt ist der Versuch mit neuen Produkten nicht immer von Erfolg gekrönt. „Wir haben es einmal mit ökologischer Landwirtschaft versucht“, erzählt Bento, „aber das mussten wir einstellen, weil der Vertrieb nicht geklappt hat. Und dann haben wir mal versucht, Zierfische zu züchten. Die kamen aus Singapur, hübsche, bunte, kleine Fischchen, ganz nett und sauber, waren eine Weile in Lissabon in Quarantäne und kamen dann zu uns. Und wir wollten, dass sie sich vermehren. Aber stattdessen sind sie einer nach dem anderen krank geworden, und dann sind sie gestorben.“ In seiner Stimme schwingt Bedauern mit.

Zierfische aus Singapur, biologischer Anbau – die Bauern werden in ihrer Suche nach neuen Produkten weitgehend allein gelassen und tragen die Folgen von Fehlschlägen selbst. Nicht gerade ein Anreiz, Bauer zu werden. Schon gar nicht für die Jugendlichen, die die Feldarbeit als Fron empfinden und heute, da sie alle die Schule besucht haben, lieber Alternativen suchen. Die 23jährige Vera Lucia etwa, die in der Bar an der Hauptstraße mit Tassen klappert, macht lange Zähne bei der Vorstellung, auf dem Feld zu arbeiten. „Ich habe nie daran gedacht“, sagt sie. „Es heißt immer, auf dem Feld zu arbeiten sei viel schwerer als in einem Café.“

Nur 30 Personen arbeiten heute fest in der Koop in Ciborro. Freilich hängt der gesamte Ort indirekt noch von ihr ab, etwa über den Vertrieb ihrer Produkte. Andere arbeiten als Schreiner oder Automechaniker am Ort, viele aber sind auch in die Stadt abgewandert, nach Montemor-o-Novo etwa.

Montomor-o-Novo, nur ein paar Dutzend Kilometer von Ciborro entfernt, ist eine geschäftige, aber dennoch geruhsame Kleinstadt. Zwar rasen Tag und Nacht Laster über die Durchgangsstraße, doch im alten Zentrum geht das Leben einen gemächlichen Gang. Vor Tavernen mit Schwingtüren baumeln wassergefüllte Plastiktüten, um die Fliegen abzuschrecken, beim Barbier wird der neueste Tratsch ausgetauscht, in dunklen Lädchen harrt man geduldig der Kunden. Seit der Nelkenrevolution wird Montemor-o-Novo, wie die meisten Städte des damals aufständischen Alentejo, von einem Kommunisten regiert. Carlos Pinto de Sà, kaum über dreißig, bekommt die Landflucht zu spüren: Immer mehr junge Leute tauchen hier auf, denen man Arbeit beschaffen muss, wenn sich hier keine Drogenszene breit machen soll wie in Lissabon.

„Industrie gibt es hier in der Gegend nicht“, klagt der Bürgermeister, „und die Landwirtschaft ist nicht sonderlich rentabel. So müssen wir eben nach neuen Wegen suchen, vor allem im Dienstleistungsbereich.“ Die Gemeindeverwaltung unterstützt das örtliche Kunsthandwerk und botanische Führungen in die Umgebung, unterhält eine Keramikwerkstatt und führt seit einigen Jahren ein Sommerfestival durch, währenddessen jeden Tag Konzerte und Theateraufführungen stattfinden. Nachts versammeln sich dann alle Generationen auf dem kleinen Platz, es wird geschaut und gegrüßt, man erlebt etwas, das fördert den Zusammenhalt.

Davide etwa, ein 19-jähriger Schüler, ist Sänger der örtlichen Musikgruppe Amigos do alheio, Freunde des Fremden, so genannt, weil sie Stücke anderer Gruppen spielen. Sie sind auf den örtlichen Festivals aufgetreten und hatten daraufhin Gelegenheit, sich im Fernsehen an einem Musikwettbewerb zu beteiligen. Für Davide ist die Nelkenrevolution bereits Geschichte, doch er singt auch Lieder von José Afonso, dem Barden der Revolution. „Ich denke, dass José Afonso Recht hatte mit seinen Liedtexten und dass er der Revolution geholfen hat. Und ohne die Revolution würde es uns heute nicht so gut gehen, wie es uns geht.“

Diese Aktivitäten ziehen auch neue Leute an. In den letzten zehn Jahren haben immer mehr Stadtflüchtige alte Bauernhäuser aufgekauft, sie hergerichtet und kommen am Wochenende hierher. Bei manchen konservativen Kommunisten hat das Missfallen erzeugt: Produktions- würden hier zu Wohnstätten, lautet die Kritik.

Biologischer Anbau, Zierfische aus Singapur – die Bauern werden mit der Suche nach neuen Produkten alleingelassen

Doch Carlos Pinto de Sà sieht darin Vorteile: „Bis vor einigen Jahren drohte der Alentejo zum Altenheim zu werden, die Jugend ging weg. Doch jetzt belebt sich die Gegend wieder. Und auch diese Wochenendurlauber geben Geld aus und sind hier präsent.“

Andere haben sich gänzlich hier angesiedelt. Jorge Böhm etwa, ein Weinbauer aus der Pfalz, hat am Rande von Montemor-o-Novo eine Rebschule aufgemacht, in der er mit modernsten Methoden Pflanzenzucht betreibt – und nebenher von den niedrigen Löhnen in der Region profitiert. Und er schafft Arbeitsplätze – für Frauen vor allem. „Obwohl ich politisch nicht der gleichen Meinung bin wie die Gemeindeverwaltung hier in Montemor, bin ich sehr zufrieden mit deren Politik. Wir müssen etwas Neues versuchen, um den Alentejo attraktiv zu machen, und die Kultur hat eine Tradition hier.Gerade für den Wochenendtourismus ist das eine Art, das zu revitalisieren.“

Dass Ciborro mal ein revolutionäres Dorf gewesen sein soll, ist kaum vorstellbar. Ein Häuflein weiß gestrichener, neuer Häuschen, gepflasterte Straßen, überall Fernsehantennen: kleiner Wohlstand. Am Mittag haben die beiden Alten ihren Beobachterposten auf dem Bänkchen verlassen, es ist ihnen wohl zu heiß geworden. An der langen Wand des Kälberstalls außerhalb des Orts stehen drei Frauen auf Leitern und schwatzen lautstark, um das Klatschen der Malerrollen zu übertönen. „Kalken ist Frauensache“, sagt eine resolut und steigt von der Leiter, erfreut ob der Unterbrechung. „Männer können das nicht.“

Frauen werden schlechter bezahlt, in der Koop von Ciborro wie anderswo auch, aber das ficht Rosalina nicht an. „Mehr kann die Koop nicht bezahlen. Und uns geht es jetzt viel besser als früher. Die Jungen heute können sich gar nicht mehr vorstellen, wie es damals war. Als Wanderarbeiter, immer am Feldrand schlafen, wochenlang von zu Hause weg, keine Schule, kein Ausweg.“ Rosalina arbeitet in der Koop seit deren Existenz, heute ist sie 53. Und sie wird hierbleiben bis zu ihrer Berentung. Und ihre Kinder? Die machen natürlich keine Feldarbeit mehr.