■ Die SPD wird morgen bei den Landtagswahlen im Saarland und in Brandenburg verlieren. Danach wackelt NRW. Und dann?
: „Schröder braucht die Programmdebatte“

Schröder muss aufzeigen, wie Sparen und SPD zusammenpassen

taz: Die SPD wird bei den morgigen Landtagswahlen heftig verlieren. Warum? Ist das nur die normale Neigung des deutschen Wahlvolkes, jeder Bundesregierung einen von der Opposition beherrschten Bundesrat entgegenzusetzen? Oder mehr?

Thomas Meyer: Der Hauptgrund ist, dass die SPD im Moment einen etwas verwirrenden Eindruck bietet. Die SPD hat versprochen, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Innovation zu verbinden. Diese Balance ist zum Teil in der Sache nicht ganz geglückt, zum Teil ist es ein Vermittlungsproblem. Zum Beispiel beim Sparpaket ist der Eindruck entstanden, dass die soziale Ausgewogenheit nicht ganz gelungen ist. Es gibt einfach den Eindruck, dass die Regierung nicht verlässlich Linie hält.

Sie sagen: Es ist der Eindruck entstanden. Ist das Sparpaket sozial unausgewogen – oder ist das nur ein Vermittlungsproblem?

Beides. Im Großen und Ganzen ist das Sparpaket in Ordnung.

Schröder scheint auf das Kalkül zu setzen: Das Sparprogramm ist unerlässlich. Dass man nun ein paar Landtagswahlen verliert, muss man hinnehmen. Danach, wenn die Wut verflogen ist, werden die Leute einen sanierten Staatshaushalt und stabile Sozialversicherungssysteme schon zu schätzen wissen. Geht das auf?

Ich glaube, das Problem ist ein anderes. Es ist bisher kaum gelungen, klar zu machen, wie das Sparprogramm und die sozialdemokratischen Grundwerte zusammenhängen und zusammenpassen.

Sie meinen, dass man Schröder einfach nicht glaubt, dass ihm soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt?

Nein, nicht so apodiktisch. Aber Sozialdemokraten müssen zeigen, dass soziale Gerechtigkeit ihr Ziel ist. Sonst können sie sich von der politischen Bühne verabschieden. Schröder muss deshalb unbedingt öffentlich aufzeigen, wie der Zusammenhang zwischen aktueller Regierungspolitik und Gerechtigkeit aussieht.

Das heißt im Moment zweierlei: betonen, dass es ohne Sparen, auch in dieser Größenordnung, keinen handlungsfähigen Staat geben wird – und also auch keine Politik, die für mehr Gerechtigkeit sorgen kann. Und klar machen, dass im Gegenzug zu problematischen Kürzungen am unteren Rand auch die oben belastet werden – zum Beispiel mit einer Vermögensabgabe. Zudem darf nichts von dem, was an Arbeitsmarkthilfen vorgesehen ist, gekürzt werden. Denn ohne Reduzierung der Arbeitslosigkeit ist die SPD nicht glaubwürdig.

Kürzlich haben eine Reihe von linken SPD-Fraktionsmitgliedern Protest gegen den Sparkurs angemeldet. Glauben Sie, dass sich da eine strategische linke Opposition bildet – oder ist das eher ein kurzatmiges Aufbegehren gegen das ohnehin Unabänderliche?

Das Problem für die Partei ist, dass das Sparpaket mit dem Schröder/Blair-Papier zusammengefallen ist. Dieses Papier kam von oben. Bei einer Kurskorrektur, wie sie dieses Papier vorschlägt, ist es ganz normal, dass es Widerspruch gibt. Denn dieses Papier war ein Paukenschlag. Die Programmdebatte steht nun an. Auch weil die Gesellschaft spüren muss, dass so eine Kurskorrektur in einer Volkspartei nicht einfach von oben verordnet werden kann.

Will sagen: Die Linke hat keine Chance, das Ruder gegen Schröder wieder herumzureißen?

Ich würde sagen: In der Programmdebatte wird die jetzige Differenz zwischen Schröder-Linie und dem kritischen Lager im Wesentlichen überbrückt werden. Am Ende wird wahrscheinlich eine Hauptströmung stehen, die jene Politik vertritt, die auch umgesetzt wird, und vielleicht ein Rest linker Kritik bleiben. Das war beim Godesberger Programm auch so.

Die SPD-Linken leiden noch immer unter dem abrupten Abgang von Lafontaine. Zumal man danach das Brachland auf der SPD-Linken sah, das die Figur Lafontaine zuvor verdeckt hatte.

Das ist auch ein Effekt unserer Mediendemokratie, in der politische Grundsatzpositionen sehr stark durch bestimmte Personen vermittelt werden, die wiederum über die Medien mit ihrer Klientel kommunizieren. Nach Lafontaines Abgang und dem Verschwinden der linken Position, die er verkörpert hat, aus den Medien fühlt sich die SPD-Linke nun heimatlos. Daraus kann sich freilich eine fruchtbare Dynamik ergeben – wenn die Diskussion zwischen dem „Schröder-Lager“ und der „Lafontaine-Richtung“ in der Programmdebatte produktiv ausgetragen wird.

Die wirklich bedrohliche Aussicht für Schröder ist eine Niederlage im SPD-Stammland NRW, bei den Kommunalwahlen nächste Woche und den Landtagswahlen im Frühjahr. Die Skandale in Dortmund und Köln – ist das eine unglückliche, zufällige Häufung, oder zeigt sich darin ein strukturelles Problem?

In Dortmund ging es um eine private Verfehlung, das kann überall passieren. In Köln war es so ähnlich. Aber für eine Partei wie die SPD, die immer etwas sozialmoralisch argumentiert, sind das schwere Beschädigungen ihres Images.

Aber es gibt doch zwei strukturelle Hintergründe der SPD-Krise in NRW: erstens, siehe Köln, die Verschleißerscheinungen und Verfilzungen, die 40 Jahre Macht mit sich bringen. Und zweitens der soziologische Umbruch: Die proletarischen Milieus verschwinden – und offenbar gelingt es der SPD nicht, gleichzeitig die neue Angestellten- und die alte Arbeiterkultur zu repräsentieren.

Ja, das ist richtig. Diese Tendenz, die Auflösung der Milieus, die gewissermaßen automatisch SPD gewählt haben, gibt es in der Bundesrepublik schon lange – und nun auch verstärkt im Ruhrgebiet. Und vor allem in den Großstädten bilden sich neue Milieus von Aufsteigern, von sozialen und kulturellen Berufen, von Leuten, die in neuen Informationstechnologien arbeiten. Und dieses Milieu ist zwar politisch interessiert, aber nicht an eine Partei gebunden. Die sind nur durch gute Kommunikation und Arbeit zu gewinnen. Insofern ist es klar, dass dieses Milieu, die Neue Mitte, besonders heftig auf solche Skandale wie in Dortmund und Köln reagiert. Eine automatische Unterstützung gibt es für die SPD auch im Ruhrgebiet nicht mehr.

Nun zielt Schröders Politik ja genau auf diese Neue Mitte. Deshalb wird auch der mögliche lokale Einbruch in NRW für ihn besonders schmerzlich. Wenn also das Undenkbare eintreten sollte – die SPD im Frühjahr in NRW in der Opposition –, glauben Sie, dass es dann für Schröder richtig eng wird?

Das wird sehr von seiner Reaktion abhängen – gerade weil diese Neue Mitte sehr sensibel darauf reagiert, wie überzeugend Politik sich erklärt. Alles wird davon abhängen, ob es glückt, in der Programmdebatte zu klären, was heute widersprüchlich und unverbunden nebeneinander erscheint.

Ohne soziale Gerechtigkeit kann sich die SPD von der Politik verabschieden

Wird Schröder auch eine Niederlage in NRW überstehen?

Ja, wenn er seine Politik dann glaubwürdig profiliert. Schröder ist ja kein Dogmatiker, der starr an einer Linie festhält. Er ist pragmatisch genug, um schnell zu reagieren. Das ist gerade bei Wahlniederlagen eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit. Da gleichzeitig die Programmdebatte läuft, haben Gesellschaft und Wähler aber auch die Gewähr, dass die Politik verbindlich bleibt.

Schröder gilt nicht als Dogmatiker, sondern eher als Opportunist. Das öffentliche Zutrauen, dass er langfristig und konzeptuell an die Dinge herangeht, ist ziemlich gering.

Sein Konzept ist, ganz grob gesagt: Eine SPD-Mehrheit behauptet sich nur, wenn sie auf die gesellschaftliche Mehrheit eingeht. Das heißt: auf unmittelbar vertretene Interessen direkt reagieren und dies medial geschickt zu vermitteln. Das ist Schröders Strategie – auch wenn er sie nicht so ausformuliert. Genau deshalb ist die Programmdebatte auch für Schröder so wichtig. Nur so wird er die öffentliche Unsicherheit über die mittelfristigen Ziele der SPD ausräumen können.

Schröder plus Programmdebatte – das wird die SPD retten?

Schröder misstraut bestimmten Programmpunkten, die in der Opposition entwickelt wurden und die sich in der Regierung als realitätsfremd erweisen. Aber ich glaube, er hat nun verstanden, dass er Partei und Öffentlichkeit nur für eine neue Politik gewinnt, wenn er seine Ziele in einer Programmdebatte vermittelt. Das wird auch für ihn nicht ohne Kompromisse abgehen.

Interview: Stefan Reinecke