Guineas tote Sabena-Kinder werden zur Affäre

■ Einen Monat nach dem Leichenfund in einem Flugzeug in Brüssel versucht Guineas Regierung noch immer zu beweisen, Regimegegner hätten den Vorfall geplant

Berlin (taz) – Einen Monat war es gestern her, dass ein Flughafenarbeiter in Brüssel im Radgestell eines Sabena-Flugzeuges zwei tote Kinder aus dem westafrikanischen Guinea fand und mit ihnen einen Klagebrief an die „Mitglieder und Verantwortlichen Europas“ über das Leiden der Kinder in Afrika. Und bis heute ist der Fall, der über die Grenzen Belgiens hinaus die Gemüter bewegte, nicht restlos aufgeklärt. Im Gegenteil: Guineas Regierung trägt kräftig zur Verwirrung bei.

Die Entsendung der beiden Kinder samt Brief sei eine kalkulierte Aktion der guineischen Opposition gewesen, um dem internationalen Ruf des Landes zu schaden, war schon kurz nach dem Leichenfund die offizielle Reaktion aus Guinea. Eine offizielle Untersuchung darüber ist seitdem im Gange. Die Kinder sind dabei nicht Opfer, sondern Täter, und ihr Umfeld sind Komplizen. „Was uns interessiert“, sagte Guineas Innenminister Kouréissy, „ist der Tathergang, die elterliche Aufsicht, die Trennung der Eltern.“

Im Rahmen dieser Untersuchung sind unter anderem Sicherheitskräfte in die Schule der beiden Kinder marschiert und haben alle verfügbaren Schulhefte beschlagnahmt, um einen Schriftvergleich vorzunehmen. Zu der auch in Guineas unabhängiger Presse berichteten Aktion erklärt die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ zusätzlich, die Schulleitung habe in weiser Erwartung die Hefte kopiert und die Kopien versteckt, „um Interpretationen der guineischen Regierung zu verhindern“. Interpretieren wird die Regierung aber so oder so. Denn selbst Guineas Oppositionszeitungen sind sich einig: Da die meisten Kinder in Guinea auch nach dem Schulabschluss nicht schreiben können, ist es schwer denkbar, wie die beiden Kinder ihren Brief alleine hätten verfassen können.

Wie sie auf die Idee kamen, das Land per Sabena zu verlassen, fand ein Reporter der französischen Zeitung Le Monde allerdings schnell heraus: Die Schule liegt am Ende der Piste des Flughafens in Guineas Hauptstadt Conakry. Aus dem Fenster kann man die ankommenden Maschinen sehen. Immer noch unklar bleibt allerdings, wie die Kinder ins Radgestell gelangten. Die immer wachsamen guineischen Sicherheitskräfte haben neben Schulheften auch Flugzeuge inspiziert und sind zum Schluss gekommen, es sei unmöglich, ungesehen dort hineinzuklettern. Es müsse also Komplizen gegeben haben.

Nun darf also unter dem Flughafenpersonal nach Oppositionellen gesucht werden. Die inkriminierten Angestellten lehnten sicherheitshalber schon einmal das Angebot der Polizisten ab, sich an einem ruhigen Ort zu unterhalten. Ein Polizist machte sich aber die Mühe, selber in das fragliche Radgestell zu klettern, als das berühmt gewordene Sabena-Flugzeug wieder einmal in Conakry landete. Er befand, darin sei reichlich Platz: Zehn Menschen passten hinein.

Soll Sabena also in Zukunft kleinere Radgestelle bauen? Vielleicht sollte Sabena einfach öfter ihre Flugzeuge inspizieren. Nach belgischen Untersuchungen sind die beiden Jungen nämlich mehrmals zwischen Afrika und Europa hin- und hergeflogen. Denn als sie beim Auftanken zufällig entdeckt wurden, waren sie bereits fünf Tage tot. Dominic Johnson