„Ich schreie wirklich um Hilfe, wir können hier nicht mehr“

■ Leben an der Kriegsfront im Kongo: Ein Pfarrer berichtet über Elend und Armeewillkür in einem von Kabilas Truppen kontrollierten Gebiet

In der Demokratischen Republik Kongo soll theoretisch ab heute Frieden einkehren. Die verfeindeten Fraktionsführer der größten Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) sind nach Sambia gereist, um heute das Friedensabkommen zu unterzeichnen, das die anderen Parteien des Kongo-Krieges am 10. Juli getroffen hatte. Wenn es nicht zu Problemen in letzter Minute kommt, ist damit der Weg zu einem UN-überwachten Friedensprozess im Kongo frei. Vor Ort jedoch sind die Hoffnungen auf Frieden eher gering, und die Lebensbedingungen der Bevölkerung sind katastrophal.

Die taz dokumentiert wesentliche Auszüge eines Briefes von Bokonga Lokuli, Generalsekretär der evangelischen „Église du Christ du Congo“ im Ort Basankusu in der nordwestkongolesischen Provinz Equateur, über das Leben unter Kabilas Regierungsarmee nahe der Kriegsfront, gerichtet an die in der Vereinigten Evangelischen Mission zusammengeschlossenen Partnerkirchen in Deutschland.

„Unsere Gemeinschaft ist gegenwärtig geteilt zwischen den von der Rebellion eroberten Gebieten und denen unter Kontrolle der Regierung. Und weil diese Situation bereits zu lange andauert und ständige Unsicherheit erzeugt, ist der Verkehr von Bürgern und ihrer Güter ebenso schwierig wie gefährlich geworden. So sind Handel, Ackerbau und Gesundheitsversorgung schwer gestört.

Das Gästehaus „Bibelforum“ beherbergt seit über vier Monaten das Feldhauptquartier der Armee für die Westfront im Süden der Provinz Equateur. Es ist daher nicht mehr möglich, Gäste zu empfangen. Aber wir müssen die fünf Mitarbeiter weiter beschäftigen und aus unseren eigenen Mitteln bezahlen.

Die Autowerkstatt ist wegen des Kriegszustands gezwungen, Militärfahrzeuge kostenlos zu reparieren und ihnen gratis Ersatzteile zu geben. Fast jede Woche wird unser Fahrzeug zum Transport der Militärs requiriert.

Die Arbeit der Tischlerei ist wegen wiederholter Requisition ihres Fahrzeuges durch die Militärs lahm gelegt. Das notwendige Material wird nicht mehr regelmäßig geliefert. Die Produktion ist daher stark gesunken, zumal Särge für das Militär kostenlos hergestellt werden.

Die öffentliche Apotheke wird mehr denn je von Männern in Uniform frequentiert, die nicht bezahlen. Sie liegt nicht weit vom gegenwärtigen Feldhauptquartier und die Militärs haben keine Krankenstation. Wir sind nicht berechtigt, die Apotheke zu schließen, aus Angst, als Regimegegner beschuldigt zu werden. Die Krankenhäuser und Gesundheitsstationen erleben dieselben Schwierigkeiten.

Es gibt weitere Schwierigkeiten allgemeiner Natur. Die Kaufkraft der Bevölkerungen der Kriegsgebiete ist null. Da sie weder produzieren noch verkaufen können, leben unsere Gläubigen derzeit ohne Einkommen. Zudem werden die Staatsangestellten und Lehrer, die die Mehrheit unserer Gläubigen ausmachen, nicht bezahlt.

Eine zusätzliche Schwierigkeit ist vor kurzem aufgetaucht: Die plötzliche Ungültigkeit der früheren Zaire-Währung. Der Großteil der Geldmenge in unserer Provinz bestand aus Zaire-Geldscheinen. Die Regierungsentscheidung, diese für wertlos zu erklären, hat uns einen bedauerlichen Schaden zugefügt. Unser Jahresbudget ist völlig durcheinander.

Man muß hinzufügen, daß unsere beiden Funkgeräte von den Militärs weggenommen worden sind. Wir müssen regelmäßig Beiträge für das Militär zahlen, von Benzin oder den Gegenwert in Geld bis zu Nahrungsmitteln.

Wir sind nicht in der Lage, den Gesamtschaden zu beziffern, den der aktuelle Krieg im Kongo verursacht hat. Aber durch das, was ich beschrieben habe, können Sie sich eine Idee der Wirklichkeit machen. Ich schreie wirklich um Hilfe, wir können hier nicht mehr.“ Rev. Bokonga Lokuli