■ Grüne: Austritt wegen der anpasslerischen Migrationspolitik
: Der langsame Wandel zur grünen FDP

Dass Atti Özdemir – Vorsitzender von Immigrün und Mitglied des Grünen-Präsidiums – die Partei aus Protest verlässt, ist kein weiteres Symptom für die Krise der Grünen. Zynisch gesagt, handelt es sich eher um einen zusätzlichen Baustein in einem deutlichen Umorientierungsprozess, der die Grünen mehr und mehr zum FDP-Ersatz macht.

Mit der von Özdemir beklagten Abkehr von der Integrationspolitik haben die Grünen wieder einmal einen Teil ihrer Prinzipien einer konturlosen Realpolitik geopfert. Seit der Beteiligung an der Regierung hat man sich zunächst umstandslos vom Pazifismus abgewandt. Dann verschrieben sich die angeblich progressiven Gruppen statt sozialer Gerechtigkeit einem neoliberalen Blabla. Nachdem Jürgen Trittin aus Angst vor weiteren Watschen in Schweigen verfallen ist, fordern andere „Progressive“ statt konsequenter Umweltpolitik windelweiche neokorporatistische „Dialoge“ mit der Wirtschaft.

In eben diesem Sinne wird nun offensichtlich auch das „Ausländerthema“ abserviert: Seit der Pleite mit Staatsbürgerschaftsänderung und Hessen-Wahl betrachtet man es nicht mehr als zentralen Punkt auf dem Weg in eine demokratischere und gerechtere Gesellschaft, sondern nur noch als unangenehme Sache, die dem Image schaden und Stimmen kosten kann. Und so letztlich den Job gefährdet.

Das ununterbrochene Abrücken von „traditionellen“ Orientierungen und Wahlversprechen macht die Grünen momentan vor allem unberechenbar. Tatsächlich könnte man meinen, mittlerweile sei es die Union, die Strategien einsetze, um politische Ziele zu verwirklichen, während die Grünen ihre Ziele zugunsten von diffusen Strategien abbauen. Insofern kommt die Kritik von Personen wie Atti Özdemir erfrischend unstrategisch daher. Allerdings ist zu befürchten, dass seine Einwände wenig ändern werden.

Ob der Verband Immigrün sich nun von der Partei in die Pflicht nehmen lässt, um am Image mitzustricken, wird sich noch herausstellen. Ganz bestimmt werden konservative Medien seine Aussagen mit Vergnügen zur Kenntnis nehmen. Und wahrscheinlich wird die Reaktion bei den Grünen heißen: noch mehr strategische Bemühungen ums Image, noch mehr Streben nach innerparteilicher Stromlinienförmigkeit und noch weniger politische Substanz. Aber sind das nicht die Zutaten, die einer Partei heute „Modernität“ garantieren? Krise? Welche Krise?

Mark Terkessidis

Der Autor lebt als freier Publizist in Köln