Vergessen Sie Gitte!

■ Einfach Peng!: Die „Ramazotti-Sisters“ erklären mit ihrem „Country & Schwestern-Musical“ im Vegesacker Kulturbahnhof, warum sie Cowboys als Männer wollen

So, meine Damen und Herren, da kann man mal sehen, was passiert, wenn kleine Mädchen zu viele Pferdebücher lesen. Die laufen nämlich Amok. Peng! Nix is mit Heimchen am Herd. Outlaws vor dem Herrn. Wandeln auf den Spuren von Calamity Jane, wenigstens aber Dusty Springfields. Knall! Oder sie machen, wenn sie aus – ja, mein Gott: Hildesheim! – kommen, kurzerhand ein sogenanntes „Country & Schwestern-Musical“ draus. Das ist Blödsinn, gewiss. Aber der schönste Blödsinn, den ich seit langem erlebt habe.

An diesem Abend ist alles obligatorisch. Kein noch so blödes Klischee, aus dem sich nicht doch was rausholen ließe. Zieh! Zwölf Uhr mittags auf der Main Street. Nein. Halb neun in Vegesack. Auch gut. Wir stapfen durch Heu und Stroh zum Platz. Denkt nur nicht, Cowboys hätten (auch mit Computer) das Internet erfunden. Die sind nämlich, um im Bild zu bleiben: strohdumm, stratzen durch die noch kaum gefüllten Sitzreihen. In der Hand das Schaf in der Dose Böööh!, oder einen Fisch am Band. Was soll das nun bedeuten. Ach, gar nichts. Heute abend ist nur Spaß.

Dann erklimmen die Schwestern das Podium. Nach eigenen Aussagen noch nie im Wilden Westen gewesen. Eher schon in der norddeutschen Tiefebene. Immerhin on the road. Da ist die empfindsame Maria, die sich später als fundamentalistische Fußfetischistin entpuppt. Das Laubsägenmassaker im Publikum kann nur knapp vereitelt werden. Da ist Marie-Anne, die Schlampe, die erstmal die Zusehenden beschnuppert: Schweine erkennen sich eben am Geruch. Und schließlich Mickey, ihres Zeichens lonesome cowgirl, ganz in schwarzem Leder. „Manche Männer sind witzig“, sagt sie, und legt dem Schreiber dieser Zeilen den Arm um die Schultern, „aber ich habe aufgehört, zu lachen.“ Was soll man dazu noch sagen. Sie wartet mit der ersten der zahlreichen Lebensweisheiten auf. „Wenn Männer sich selbst einen blasen könnten, wären sie nur halb so verbissen.“ Das ist brutal lustig, darum aber kaum weniger wahr.

Schließlich ist da noch die Musik. Drei „Rotten Sammy's Brothers“ spielen Guitar, Drum'n'Bass-Country & Western-Fake. Das klingt bisweilen, als hätten sie eine einschlägige Billigkompilation aus dem Supermarkt durch die Tom Waits-Maschine gejagt und allen Schwermut herausgekürzt. „Sometimes It's Hard To Be A Woman“ und „Stand By Your Man“ gibt's. Und schließlich sogar das „True Love“ eines gewissen Dean Martin, stilecht dargeboten im lauschigen Pantomime-Ruderboot.

Die drei tumben Instrumentalisten sind, wie uns die entsprechende Ballade aufklärt, die letzten lebenden der fünfzehn Kinder von Dixie Cole Potter. Zwölf gingen drauf, weil Kuchen statt mit Mehl mit Rattengift gebacken war. Klar, daß man da sauer wird. Die Outlaws „schossen, was das Zeug hält“. Und nun touren sie als männliche und musikalische Begleiter der Ramazotti- Sisters.

'Ne wirkliche Handlung ist das natürlich auch nicht. „Peng!“ ist eine Revue, die die tragikomischen Männergeschichten der drei Frauen erzählt. Das Hohelied der Affirmation. Nur wird uns ständig der Heuboden unter den Füßen weggezogen. Subversion? Spaß? Puff! In Bild und Ton, mit allen Mitteln von Kleinkunst und Trashkultur. Der Bassist erscheint seiner Marie-Anne in hinreißender Slow Motion als Robin Hood-Impersonator. Der beständig Avancen stotternde Drummer kann bei der empfindsamen Maria nicht so richtig landen. Alles wird, was? – richtig: visualisiert. Auf dem Gatter sitzend, spielen zwei den dritten Traum vom Nachbarn Harry als intellektuellem Trucker. ... und Harry verpuffte. Häh?! Wie soll ich das jetzt machen? Eine Wegwerfbewegung: Traum ist aus. Schön!

Alles, was einem bei Truck Stop unablässig den Schrecken in die Gebeine treibt, wird hier zum fröhlichen Ideologiekritiktralala, „verlor'n zwischen Peine und Paderborn.“ Da kann man vor Mitleid nur lachen. Die musikalische Recherche in südnordamerikanischen Gefilden der Münchner F.S.K. wirkt dagegen so ernst wie eine Habilitationsschrift. Ratta ratta rattadadada. Besonders gut ist der wunderbar unzweideutige Choral über die Handarbeit, der Hälfte zwei eröffnet. Diesmal die Männer. A capella, und ganz in Mark Twain-Tradition: Schöne Dinge selbst gemacht mit Kreativitäääät. Gut gekräht, Fremde. „Ene mene Muh“, heißt es nach kurzweiligen zwei Stunden, „seht den Kühen einfach zu!“ Hildesheim: 12 Points.

Tim Schomacker

Letzte Gelegenheit: Heute abend um 20.30 Uhr im Kulturbahnhof Vegesack. Karten gibt es unter Tel.: 65 00 60