■  Billig, billiger, am billigsten. Bier, Butter und Buletten zu Spottpreisen. Im Lebensmitteleinzelhandel tobt der Preiskampf. Die Supermarktketten haben seit Wochen ihre Preise reduziert. Und zwar derart radikal, dass nun die Wettbewerbshüter gefordert sind. Das Bundeskartellamt hat zu prüfen, ob es sich bei den Preisen etwa um wettbewerbswidrige Dumpingpreise handelt, also um Preise, die unter dem Beschaffungswert liegen
: Billig währt am längsten

Chantré-Weinbrand, 0,7 Liter für 9,98 Mark? Da kann Simone K. (61) nicht widerstehen. Schnell ist der Wagen voll und das Schränkchen zu Hause auch. Ihre Nachbarin Marianne P. (58) greift bei den Maggi-Ravioli zu. 800 ml für 1,99 Mark. „Für die Enkel.“ Das war Anfang Juli.

Knapp sieben Wochen später kosten Weinbrand und Ravioli in der Penny-Filiale in Berlin-Neukölln immer noch gleich viel. Aber die Flaschen und Dosen bleiben in den Regalen. „Die Kunden haben sich Vorräte zugelegt“, sagt der Filialleiter. Dass die Niedrigpreiskampagne, bei der die Kölner Rewe-Gruppe 50 Markenartikel sowohl bei Penny als auch in den teureren Rewe- und HL-Filialen auffallend radikal reduziert hat, auf zwölf Wochen angelegt ist, hätten viele offenbar nicht mitbekommen. „Es gibt ja jeden Tag irgendwo neue Angebote.“ Zum Beispiel im fünf Autominuten entfernten Real in Kreuzberg, der zum Metro-Konzern gehört, dem größten Konkurrenten von Rewe im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Dort gibt es den Chantré jetzt für 9,77 Mark.

Denn Metro hat die Preissenkungen bei Rewe als Kampfansage interpretiert und die Preise bei Tip, Extra und eben Real umgehend an die Kölner Vorgaben angepasst. In „gezielten Aktionen“, so Metro-Vorstandssprecher Hans Joachim Körber, wolle man einzelne Produkte sogar noch einmal „beispielsweise 20 Prozent billiger“ machen. Auch Lidl und Spar haben nachgezogen. Dabei kann sich zumindest Spar das derzeit gar nicht leisten. Ebenso wenig wie etwa Tengelmann – beide Unternehmensgruppen befinden sich mitten in der Umstrukturierung.

„Wir können noch nicht sagen, ob sich unsere Aktion lohnt“, heißt es in der Rewe-Pressestelle. Die Erwartungen seien aber auch nicht besonders hoch gewesen. Bei der Bilanzpressekonferenz Anfang des Jahres hatte Unternehmenschef Hans Reischl erklärt, Rewe habe „nicht den Ehrgeiz, mit aller Macht der Billigste zu sein“. Dass ihm inzwischen doch der Kragen geplatzt ist und er für die Dauerniedrigpreiskampagne mindestens einen „hohen zweistelligen Millionenbetrag“ locker gemacht hat, zeigt, wie rasant und ruinös sich der Wettbewerb im Lebensmittelhandel entwickelt. „Wir konnten uns nicht permanent in der Öffentlichkeit vorführen lassen, dass wir zu teuer sind.“

Immerhin kann sich Reischl zu Gute halten, dass die Rewe-Aktion zum ersten Mal das Bundeskartellamt in Berlin auf den Plan gerufen und damit „vielleicht, vielleicht“ den Anfang vom Ende der Preissenkungsspirale eingeleitet hat. Ein paar Einzelhändler hatten dort Beschwerde eingelegt – nicht nur gegen Rewe, sondern auch gegen Metro. Begründung: Es könne sich nur um wettbewerbswidrige Dumpingpreise, also Preise unter dem Beschaffungswert handeln. Bis gestern sollten beide Unternehmen offiziell Stellung zu dem Vorwurf beziehen. „Wir verkaufen nicht unter Einstandspreis“, erklärte Metro-Sprecher Kowalke gegenüber der taz. „Das haben wir auch gegenüber dem Bundeskartellamt aufgeschlüsselt.“ Die Kollegen bei Rewe haben sich dagegen eine Fristverlängerung geholt. Erst nach deren Ablauf werden die Wettbewerbshüter nun entscheiden können, ob sie die Preiskalkulationen der beiden Konzerne für überzeugend halten oder die Niedrigstpreise verbieten müssen.

„Das wird dann noch eine ganze Weile dauern“, so Pressesprecher Stefan Siebert: Denn eindeutig ist nicht einmal die Gesetzeslage, obwohl das Kartellrecht erst zu Jahresbeginn überarbeitet worden ist. Der Verkauf unter Einstandspreis ist seitdem verboten, wenn er ohne „sonderlichen Grund als unbillige Beeinträchtigung des Wettbewerbs“ anzusehen ist. Nach Interpretation verschiedener Rechtsexperten könnte das umgekehrt bedeuten, dass er erlaubt ist, wenn das Unternehmen um sein Überleben kämpft. Hinzu kommt, dass es schwer werden dürfte herauszufinden, was genau die Einstandspreise für die reduzierten Artikel denn eigentlich sind: Neben dem Listenpreis des Lieferanten müssen dabei alle möglichen Ab- und Zuschläge mit berechnet werden, von denen manche gar nicht auf einzelne Produkte bezogen, sondern in Werbekostenpauschalen oder Jahresrabatten enthalten sind. „Und wir müssen sehen, wie weit wir überhaupt eingreifen dürfen“, so Siebert. „Wir wollen die Preise ja auch nicht regulieren.“

Seit sechs Jahren gehen die Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel zurück. Gleichzeitig drängen internationale Anbieter auf den deutschen Markt. Besonders verunsichert hat die Branche das Auftreten des US-amerikanischen Wal-Mart-Konzerns, der sich Ende letzten Jahres eine Reihe der bis dahin eigenständigen Wertkauf-Häuser einverleibte und anschließend mehr als 70 Interspar-Filialen von der Spar-Gruppe übernahm. Denn Wal-Mart ist mit einem weltweiten Umsatz von 259 Milliarden Mark und rund 950.000 Beschäftigten beinahe so groß wie Metro, Rewe, Edeka und Tengelmann zusammen. Um gar keine falsche Hoffnung aufkommen zu lassen, hat sich das Unternehmen zudem auch hier gleich mit seiner Niedrigstpreisgarantie bekannt gemacht: Wenn ein Kunde einen Artikel bis zu 30 Tage nach dem Einkauf woanders nachweisbar billiger sieht als bei Wal-Mart, bekommt er die Differenz erstattet, der Preis wird angeglichen.

Dem haben die deutschen Unternehmen wenig entgegenzusetzen. Zumal sie in den letzten Jahren auf eine Strategie gesetzt haben, die nach Einschätzung von Marktexperten „ausgesprochen kontraproduktiv“ war. Sie haben den Anteil an Discountern, also Läden mit wenig Personal und Verkauf aus dem Karton, erhöht und kleine Geschäfte zugunsten von konkurrenzfähigeren, weil durchrationalisierten größeren aufgegeben. Seit 1994 haben sie die Verkaufsfläche so um 12,5 Prozent – das sind mehr als 10 Millionen Quadratmeter – und die Öffnungszeiten um 15 Prozent ausgeweitet. In der Folge haben nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittel- und Einzelhandels rund 3.000 Geschäfte schließen müssen. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen wurden dabei 80.000 Vollzeitjobs vernichtet und 75 Prozent mehr Geringverdiener eingestellt.

Auch in der Preispolitik fahren die großen Gruppen allesamt den gleichen Kurs und orientieren sich in erster Linie an Aldi, und bei den Markenartikeln an der direkten Konkurrenz. Aldi selbst hält sich übrigens noch zurück. Zumindest mit groß anlegten Kampagnen – Anfang Juli testete Deutschlands Discounter Nummer 1 kurzzeitig das Klima und verkaufte Butter für 1,39 Mark – mit „beträchtlichem Erfolg“, wie die Zeitschrift Lebensmittel berichtet. Dort will man auch gehört haben, dass Aldi abwartet, ob sich die Preise wieder entspannen. Tun sie das nicht, wolle er „heftig zurückschlagen“.

Bei all dieser Gleichförmigkeit kann sich niemand so richtig profilieren. Auch die Ernährungsindustrie befürchtet nun, mit in den Sog zu geraten. Als Real kürzlich den Kasten Krombacher für 17,88 Mark, im Osten gar für 16,66 Mark verkaufen wollte, drohten die Bierbrauer mit einem Veto und stellten ihre Verkaufsfördermaßnahmen ein. Beate Willms