„Oberst Mückenspray“ macht die Fliege

■ Geiseldrama in Liberia: Buschrebellen lassen 100 Mitarbeiter von Hilfsorganisationen frei. Aber nur die Ausländer dürfen raus

Berlin (taz) – Eine der größten Geiselnahmen von Mitarbeitern humanitärer Hilfsorganisationen ist am Wochenende in Liberia entgegen ersten Berichten doch noch nicht reibungslos zu Ende gegangen. Liberianische Rebellen, die bei einem Angriff auf Ortschaften im Nordwesten Liberias vergangene Woche etwa 100 in- und ausländische Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und Angehörige gekidnappt hatten, ließen zwar am Freitag und Samstag alle ihre Geiseln frei. Doch während die sechs gekidnappten Europäer über die nahe Grenze in den Nachbarstaat Guinea laufen konnten, blieben die etwa 90 liberianischen Geiseln zurück. Guineas Grenzbehörden verweigerten ihnen die Einreise. Ihr Schicksal war gestern ungewiss.

Das Geiseldrama hatte am Mittwoch begonnen, als eine Gruppe von 500 bis 1.000 schwer bewaffneten Liberianern aus Guinea über Sierra Leone in den Nordwesten Liberias einrückte und unter anderem die Ortschaft Kolahun besetzte, wo die in der Region arbeitenden Hilfsorganisationen ihre Zentralen haben. Für die Freilassung der verschleppten Europäer verlangten sie Benzin und 10.000 Dollar – nicht gerade viel. Liberias Regierung sprach von einer „Aggression“, verhängte in der Region den Ausnahmezustand und startete eine Großoffensive. Darauf zogen sich die Rebellen aus den eroberten Ortschaften zurück.

Liberias Präsident Charles Taylor, der 1997 nach sieben Jahren Bürgerkrieg durch freie Wahlen an die Macht kam, machte die ehemalige Bürgerkriegsmiliz Ulimo unter Alhaji Kromah für die Angriffe verantwortlich. Schon im Februar hatte er Kromah beschuldigt, in Guinea Kämpfer für einen neuen Waffengang zu sammeln. Im April waren Ulimo-Einheiten aus Guinea schon einmal im Nordwesten Liberias einmarschiert. Regierungssoldaten terrorisierten anschließend die örtliche Bevölkerung. Dies mag den neuen Rebelleneinmarsch begünstigt haben.

Gegenüber örtlichen Medien nannten sich die Angreifer „Joint Forces of Liberation for Liberia“ und ihr Kommandant „Second Lieutenant Mosquito Spray“. Wenig scheint sich geändert zu haben seit der Zeit des Bürgerkrieges, als unzählige Rebellengruppen mit fantasievollen Namen Liberia zerstörten. Die Wiedereingliederung ihrer Kämpfer ist bis heute nicht geglückt, da Liberias Regierung kein Geld hat und ausländische Hilfe sehr spärlich fließt. Die Armut begünstigt Korruption im Staatsapparat und Gewalt seitens unterbezahlter Sicherheitskräfte, was wiederum Gegner der Regierung zurück zu den Waffen treibt.

Liberias Regierung hat dem wenig entgegenzusetzen. Die seit Jahren andauernden Bewegungen von Flüchtlingen und Rebellen hin und her über die Grenzen in diesem Teil Westafrikas haben zur Herausbildung grenzüberschreitender Kreisläufe der Gewalt geführt, die sich der politischen Steuerung entziehen. Es scheint zu einem Naturgesetz zu werden, dass, wenn hier ein Bürgerkrieg zu Ende geht, woanders ein neuer beginnt. Das war 1997 so, als Liberia zu Frieden fand und Sierra Leone in den Krieg schlitterte. Jetzt endet in Sierra Leone der Krieg, und in Liberia ist der Frieden gefährdet.

Die jetzt angegriffene liberianische Provinz Lofa County ist ideales Terrain für einen neuen Bürgerkrieg. Sie steckt voller sierraleonischer Flüchtlinge und hat keinerlei Infrastruktur. Die Straßen in den Rest des Landes sind unpassierbar, obwohl die deutsche GTZ versucht, sie mit Hilfe demobilisierter – und leicht remobilisierbarer – Bürgerkriegskämpfer wieder aufzubauen. Die Bevölkerung ist entlang ethnischer Linien politisch gespalten. Die Vertreter der Regierung sind seit dem letzten Rebelleneinmarsch im April nicht mehr gesehen worden. Die dort präsenten Sicherheitskräfte sind außer Kontrolle geraten. Die Hilfsorganisationen sind der einzige nennenswerte Wirtschaftsfaktor. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ihre Mitarbeiter so selten in Gefahr geraten. Dominic Johnson