Nachhaltige Effekte

Rund 12 Millionen Mark investiert die BVG in „tick.et“. Langfristig erhofft man sich Arbeitsplätze, Folgeaufträge und Imagegewinn  ■   Von Christoph Rasch

„Die neue Technologie wird kommen, ob man will oder nicht“, findet Sami Tabbara und zückt die kleine, unscheinbare Plastikkarte. „Die Frage ist derzeit nur, wie man sie effektiv einsetzt“, sagt der Geschäftsführer der Berliner Elektronikfirma Trion und fährt mit der Karte am Lesegerät im Firmenfoyer entlang – einem Demo-Prototyp für das elektronische Ticketing, das die Trion AG für die Berliner Adtranz, Bahntechniktochter des DaimlerChrysler-Konzerns, entwickelt hat. Der „Kontostand“ von Tabbaras „Smartcard“ erscheint auf dem Display, ein fiktives „Fahrgeld“ wird abgezogen. Ein Vorgang, den die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nun massenhaft an 25.000 Berlinern testen wollen.

Doch die Technik dafür kommt vorerst wohl nicht aus Berlin, wo die Trion AG einziger Produzent ensprechender Hardware ist, sondern vom Telekommunikationsriesen Motorola. Und der produziert die Test-Smartcards im Wert von drei Millionen Mark bei seinem Partner, der ERG Limited im australischen Perth.

„Das Auftragsvolumen hätten wir alleine gar nicht bewältigen können“, meint Sami Tabbara. Auch das Gutachterbüro IVU, langjähriger Partner der BVG, musste im Bereich der Software-Lieferung abwinken.

„Den mittelständischen Betrieben in Berlin fehlen nicht das Know-how, sondern die Kapazitäten, um ein so großes Projekt zu beliefern“, sagt Detlev Kruse, Leiter der Kommunikationsabteilung bei der BVG.

Doch Firmen aus der Region sollen nun zumindest als Zulieferer und Berater in das Projekt mit einbezogen werden. Metallsäulen, Karten-Ladeterminals und die sogenannten Check-in-check-out-Geräte zur Registrierung der Fahrgäste, sollen in Berlin produziert werden. Die Debis entwickelt und baut die an den bereits existierenden „Stadt-Info“-Terminals orientierten Service-Säulen.

Daneben lagert die BVG Beratungs- und PR-Arbeit an die Berliner Werbeagentur Flaskamp aus. 12 Millionen Mark Investionen schlagen laut Kruse so insgesamt zu Buche.

Auf dem im Januar in Berlin abgehaltenen „Omnicard“-Kongress der Electronic-Ticketing-Anbieter sah Unternehmensberater und Smartcard-Experte Hanns-Wolfgang Trippe die kooperative Nutzung existierender Infrastruktur vor Ort als Voraussetzung für die schnelle Einführung der neuen Technologie – und der „effektiven Missionierung der Kunden.“

Die Trion ist eine der Firmen, mit denen Motorola derzeit verhandelt. Gespräche über Zulieferverträge bei Hard- und Software seien gerade angelaufen, erklärt Tabbara, der optimistisch von der „Zugwirkung“ eines serienreifen Chipkartensystems redet. Und vom Vorbildcharakter: „Viele Interessenten in ganz Europa werden die Modellphase sehr genau verfolgen“, sagt er. Die BVG steht derzeit mit Verkehrsverbünden im Rhein-Main-Gebiet und in Köln-Bonn in engem Austausch. „Schließlich“, findet Tabbara, „wäre es ein Unding, wenn neue Technologien langfristig Arbeitsplätze einsparen, deren Entwicklung und Produktion aber andererseits keine neuen Stellen in der Region schaffen.“

Doch die Dimensionen sind nicht gerade gewaltig. Die prosperierende Trion selbst (Umsatzwachstum: 128 Prozent auf 14,3 Millionen Mark 1998) ist ein kleines Unternehmen mit derzeit rund 80 Mitarbeitern. Nach vollzogener „Umstrukturierung“ und Stellenabbau rechnet man am Standort in der Weddinger Voltastraße für das laufende Jahr nur mit bis zu 20 Neueinstellungen.

Das klang vor zwei Jahren noch anders: damals hatte Dieter Ernst, Staatssekretär beim Berliner Wirtschaftssenator auf einer Investorenkonferenz noch gefordert, bis zu 80 Prozent des Auftragsvolumens für die Modernisierung des regionalen Nahverkehrs – rund 9 Milliarden Mark – in den mittelständischen Betrieben Berlins und Brandenburgs zu plazieren. Den Chipkarten-Feldversuch der BVG bewertete er damals als „richtungweisend.“

Und auch heute sind offizielle Stimmen weiterhin optimistisch bis euphorisch. Der Smartcard-Test mache die BVG zum modernen Berliner „Vorzeigeunternehmen mit Strahlkraft“, schwelgt etwa eine Studie der landeseigenen Investionsbank Berlin (IBB), die in der letzten Woche vorgestellt wurde.

Durch die Auftragsvergabe an Motorola sehen sich Berliner Wirtschaftskreise in der Hoffnung auf eine Belebung des Arbeitsmarktes in jedem Fall bestätigt: denn Norbert Quinkert, Geschäftsführer für Motorola Deutschland, kündigt „eine verstärkte Präsenz in der Hauptstadt“ an. Der Konzern errichtet in den kommenden Monaten auf dem aufgekauften Bosch-Gelände in Spandau einen Entwicklungs- und Produktionskomplex für rund 500 Mitarbeiter. Dort soll neben dem „Tetra“-Betriebsfunk auch die Entwicklung des Smartcard-Systems vorangetrieben werden. Die so vorgenommene 40-Millionen-Mark-Investition sieht BVG-Kommunikationschef Kruse, „als eine direkte Folge der Auftragsvergabe an Motorola.“ Dem Konzern bescherte das Berliner Engagement nicht nur Renommee, sondern auch zusätzliche Nachfolgeaufträge aus anderen Städten.

Nach dem Ende der Testphase solle, heißt es nun in BVG-Kreisen, dennoch eine neue Ausschreibung für den Aufbau des Komplettsystems bis 2002 stattfinden. Dabei sollen dann „verstärkt regionale Anbieter berücksichtigt“ werden, so Kruse. Nach EU-Wettbewerbsrichtlinien wäre dies jedoch rechtlich fragwürdig.

In jedem Fall: ob das Chipkarten-Projekt für die mittelständischen Betriebe aus Berlin und Brandenburg wirklich ein üppiges Stück aus dem einst angepeilten 9-Milliarden-Kuchen für die Aufrüstung des regionalen Nahverkehrs wird, bleibt abzuwarten. Auch bei der BVG heißt es, die Einführung des Smartcard-Systems selbst werde zunächst weniger „in Mark und Pfennig“ positiv zu Buche schlagen. „Bis sich die Technik für uns auszahlt, rechnen wir mit 4–5 Jahren“, so Kruse.

Die Verkehrsbetriebe wollten damit stattdessen das proben, was im Handel längst gängig ist – die „Chipkarte als Mittel zur effektiven und langfristigen Bindung von Kunden.“ 25.000 davon suchen die BVGler jetzt, nicht elektronisch, sondern ganz profan per Zeitungsannonce.