Nord-Korea heizt das Wettrüsten in Ostasien an

■ Pjöngjangs Raketentests liefern den Nachbarn den Vorwand für teure Rüstungsprojekte. Die USA, Japan und Süd-Korea setzen auf Hightech statt auf politische Lösungen

Tokio (taz) – Der in den nächsten Wochen erwartete Test einer nordkoreanischen Langstreckenrakete verschärft die sicherheitspolitischen Spannungen in Ostasien. Japan, die USA und Süd-Korea haben bereits harte Sanktionen angedroht, falls Nord-Korea die neue Version seiner Taepodong-Rakete testen sollte. Doch der Druck von außen bestärkt das Regime in Pjöngjang nur noch mehr, die Taepodong-2 abzufeuern. Für das heruntergewirtschaftete Nord-Korea könnte die Rakete zudem ein Mittel sein, um den anderen Staaten weitere Hilfsgelder abzuringen.

Für Europäer sind die nordkoreanischen Raketen so weit entfernt, dass es schwierig ist ihre psychologische Wirkung einzuschätzen. In Japan und Süd-Korea wird das Bedrohungspotential Nord-Koreas etwa so diskutiert, als würde in Europa bekannt, dass Iran oder Irak in der Lage seien, nukleare, chemische oder biologische Sprengsätze in jede europäische Hauptstadt zu schießen.

Die Reaktionen sind bisher unterschiedlich. Süd-Korea hält bisher seinen Entspannungskurs gegenüber dem Norden bei und versucht mittels Investitionen und mehr direkter Kontakte eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen. Mit dieser so genannten „Sonnenschein-Politik“ von Präsident Kim Dae-jung bewog Süd-Korea auch die USA zu einer pragmatischeren Haltung gegenüber Pjöngjang. Doch diese hoffnungsvollen Schritte stehen jetzt auf dem Spiel.

Japan hat sich dagegen in einen regelrechten Hardliner gegenüber Pjöngjang verwandelt, seitdem vor einem Jahr die erste Taepodong-Rakete als angeblicher Satellitenstart über Japan flog. Tokio drohte mit dem Ausstieg aus dem Kedo-Vertrag, nach dem Nord-Korea zwei Leichtwasserreaktoren zur Stromgewinnung erhält und dafür sein eigenes Nuklearprojekt stoppen muss. Japan ist mit 1 Milliarde Dollar nach Süd-Korea der zweiwichtigste Geldgeber für das 5 Millarden US-Dollar teuere Projekt.

Der Kurswechsel Japans geht aber viel weiter. Unter dem Vorwand der nordkoreanischen Raketenbedrohung hat die konservative Regierung von Premier Keizo Obuchi innerhalb eines Jahres die Sicherheitspolitik des Landes umgekrempelt. Die erweiterte Sicherheitszusammenarbeit mit den USA ist parlamentarisch abgesegnet, ebenso die Anschaffung von Spionagesatelliten. Und im Frühling eröffneten japanische Fregatten erstmals nach dem 2. Weltkrieg das Feuer auf mutmaßliche nordkoreanische Spionageschiffe. Die wichtigste Entscheidung ist aber Japans Beteiligung am umstrittenen satellitengestützten Raketenabwehrsystem, dem sogenannten TMD (Theatre Missile Defense). In Europa wird die geschrumpfte Version des amerikanischen Star-Wars-Konzepts abgelehnt, weil es Russland verunsichern wüde.

Das TMD-Projekt ist auch in Ostasien umstritten. Die Wirkung ist unbekannt, und es ist ein sündhaft teures System, das die USA nur in Zusammenarbeit mit Bündnispartnern verwirklichen können. Japan und Süd-Korea als wichtigste Wirtschaftsmächte Asiens wären willkommene Financiers für ein Projekt, das die Schutzmachtrolle der USA in dieser Region weiter zementieren würde.

China, das erst selbst kürzlich den erfolgreichen Test einer Langstreckenrakete bekannt gab, lehnt die TMD-Pläne vehement ab und verurteilt sie als Rüstungsoffensive gegen sich. Sollte nämlich der Raketenabwehrschirm in 15 Jahren tatsächlich funktionieren, wäre es für die USA ein Leichtes beispielsweise Taiwan in wenigen Tagen unter diesem Schirm zu platzieren und so chinesische Raketendrohungen gegen die Insel wirkungslos zu machen.

Die Hightech-Rüstungspläne würden Japan und Süd-Korea zu jährlichen Rüstungsmehrausgaben in der Höhe von 3 bis 5 Milliarden Dollar zwingen. Diese Gelder würden in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise besser in den Aufbau sicherer Sozialnetze gesteckt. Doch schlimmer als die hohen Kosten ist die Verhinderung einer konstruktiven sicherheitspolitischen Diskussion, die Peking und Pjöngjang in jedem Fall miteinbeziehen müsste, falls die Spannungen in der Region vermindert werden sollen.

Noch immer fehlt in Ostasien eine Institution nach dem Vorbild der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die mit vertrauensbildenden Massnahmen versucht Spannungen in der Region abzubauen. Die demokratisch verfassten Staaten Japan, Süd-Korea und die USA wären gut beraten, ihre Pionierrolle auf dem diplomatischen Parkett auszubauen, statt mit einem Hightech-Projekt in den vom stalinistischen Nord-Korea vorgegebenen Rüstungswettlauf einzusteigen. André Kunz