Programm für alle dort unten

■ „Infoscreen“, die Werbe- und Nachrichtenberieselung im U-Bahn-Schacht, versteht sich als journalistisches Angebot jenseits des Rundfunkrechts – demnächst auch überirdisch

München (taz) – Tief unter dem Pflaster der Städte scharen sich schweigend Wartende vor einer weißlackierten Blechwand, auf die ein Projektor stumme Bilder wirft. Hier zeigt sich, wen gerade wirklich nichts umtreibt. Leuchtend bewegte Bilder erregen Aufmerksamkeit, das lockende Flimmern komprimierter Inhalte und knapper Information verkürzt das Warten auf die U-Bahn.

Was wie eine postmoderne Variante von Platons Höhlengleichnis wirkt, ist in den Augen von Kristina Koch ein „höchst werbewirksames Stadtinformationsmedium“. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin ist Programmleiterin bei Infoscreen und damit Chefredakteurin einer hybriden Veranstaltung, die irgendwo zwischen bewegter Plakatwand und elektronischer Stadtzeitung siedelt – jenseits des Rundfunkrechts, denn Infoscreen ist ein „Mediendienst“ und als solcher zulassungs- und anmeldefrei.

Im Münchner Hauptsitz des Unternehmens koordiniert Koch ein knappes Dutzend Grafiker und Redakteure, die täglich Dias eines örtlichen Reisebüros, Schlagzeilen von Pro 7 oder Anzeigen für die Süddeutsche Zeitung zu verdaulichen, höchstens viertelstündigen Schleifen zusammenzurren. Über ISDN werden die digitalisierten Informationen anschließend auf Server vor Ort gespielt, aus denen sich dann die dezent installierten Projektoren speisen. Bahnen kündigen sich per Infrarotschranke an, eine Animation warnt die Zuschauer vor der tonnenschweren Werbeunterbrechung.

Daten darüber, wie viele Menschen sich das Programm anschauen, gibt es nicht. „Wir haben mal versucht, unsere Zuschauerzahlen mit einer Beobachtungskamera zu messen“, erzählt Kristina Koch, „und kamen auf etwa 40 Prozent der Fahrgäste.“ Die Suche nach dem Publikum ist verständlich, pocht das Medium doch auf sein journalistisches Selbstverständnis. „Nur etwa ein Drittel unseres Programms besteht aus Werbung“, betont Kristina Koch, „der Rest ist redaktioneller Inhalt, der einem sehr heterogenen Publikum entsprechen muss – nämlich allen, die dort unten sind“. Worauf sich alle „dort unten“ einigen können, vom Schulkind bis zum Rentner, das sind die harmlosen Cartoons von Mordillo. Der in Lizenz ausgestrahlte kleinste gemeinsame Nenner ist laut Infoscreen-Fahrgastbefragung auch das absolute Highlight bei Infoscreen. Überhaupt beurteilten knapp 90 Prozent der Befragten das Angebot als „eher gut“, nur 7,6 Prozent wurde dabei „eher schlecht“. Was an „Horsts Tagebuch“ liegen könnte, einem weiteren Format aus der Rubrik „Humor“. Die von der Münchner Redakton geknipste Bilderfolge versucht sich am Witz ohne Pointe, verwechselt aber den Humor Helge Schneiders mit der Ästhetik der Lindenstraße.

Bei Infoscreen rätselt man, warum es bisher zu keinen nennenswerten Ausschreitungen gegen die komplizierten und kostspieligen Geräte gekommen ist. „Vielleicht ist unser Programm ja einfach zu sympathisch“, spekuliert Geschäftsführer Dieter Swoboda, weißes Hemd zu roter Krawatte, bei der Führung durch die Entwicklungsabteilung des Hauses. „Andererseits“, sagt er und greift nach einem soliden Holzknüppel, „hat Vandalismus bei uns prinzipiell keine Chance. Ich will ihnen das jetzt mal demonstieren.“ Er prügelt mit dem Stock auf einen Bildschirm ein, und natürlich trotzen Stahlrahmen und Panzerglas den beherzten Schlägen.

Gewöhnlich geht das Unternehmen behutsamer vor. In der Pilotphase wurde in Nürnberg getestet, was den Menschen im öffentlichen Raum zuzumuten ist, bevor am 28. Februar 1994 in Münchner U-Bahnhöfen die ersten Screens in Betrieb genommen wurden. Zwei Jahre später waren bereits acht Städte mit insgesamt 50 Anlagen versorgt. Inzwischen beschäftigt die Infoscreen GmbH rund 85 Mitarbeiter, und die Gesellschafter Thyssen Krupp Information Services (74,9 Prozent) und die Deutsche Städte Reklame GmbH (25,1 Prozent) können sich über die rasante Etablierung ihres Produktes freuen. Mexiko-Stadt und Istanbul bekundeten auch schon Interesse am deutschen Know-how.

Interessanter ist für die Infoscreen-Macher jedoch die Fortentwicklung der Technik im eigenen Land. Neueste Entwicklung: ein Flachbildschirm, der bereits in Abteilen der Hamburger Hochbahn im Einsatz ist und seine Daten per Funk bezieht. So bekommt selbst der Blick aus dem Zugfenster multimediale Konkurrenz, demnächst auch in Berlin. Im Gegensatz zum Höhlengleichnis machen sich hier nicht die Betrachter, sondern die Bilder selbst auf den Weg an den hellen Tag. „Kein Problem“, sagt Dieter Swoboda, während er eine Reihe von Prototypen neuer Digitalbildschirme abschreitet: „Wir sind so weit, daß uns das Sonnenlicht kaum noch etwas ausmacht.“ Arno Frank