„Kultur kann man nicht kaufen!“

■  Die chinesische Raumlehre Feng Shui boomt in der westlichen Welt und verkommt zu Kunstgewerbe und Folklore. Dabei spielt sie im heutigen China kaum eine Rolle.Ein Interview mit dem Architekten An Rong

An Rong, Architekt aus Xi Yan, kam vor acht Jahren nach Berlin. An der Technischen Universität (T absolvierte er einen zweiten, deutschen Abschluss. Das Thema seiner Diplomarbeit:„Von Feng Shui zum Öko-Typus“.

taz: Wie gehen die Chinesen im Alltag mit Feng Shui um?

An Rong: Feng Shui ist alles andere als alltäglich in China. Es ist ein Reimport aus dem Westen. Seit 1949 die Kommunistische Partei Feng Shui verboten hatte, baut man lediglich in den ländlichen Gegenden nach diesen Regeln. Auf dem Dorf, wo es immer noch Privatbesitz gibt und die Politik keine so große Rolle spielt. Erst seit einigen Jahren wird an unseren Universitäten darüber geforscht. In Hongkong spielt Feng Shui dagegen eine große Rolle, zumal die Kommunistische Partei dort keine Kontrolle hatte. Weil der Baugrund begrenzt ist, waren die Architekten gezwungen, in die Höhe zu bauen. Das Feng Shui verhalf zu einer Harmonie zwischen Wolkenkratzer-Architektur, der Kultur, der Landschaft und den Menschen, die dort leben.

In Europa hat Feng Shui immer einen esoterischen Beigeschmack. Hier kann man sich selbst ernannte Meister bestellen, die einem sagen, wie man seine Möbel stellen soll.

Da liegt der Unterschied zwischen unserer chinesischen Tradition und der europäischen Denkweise. Feng Shui ist für uns eine Kultur, etwas, das lebt und sich ständig weiterentwickelt. Hier möchten die Menschen in einen Laden gehen und Feng Shui kaufen. Doch Kultur kann man nicht einfach kaufen. Die Kunst funktioniert nun einmal nicht nach festen Regeln. Wichtig ist immer die eigene Erfahrung, die in die Kultur einfließen soll.

Gibt es entsprechende Parallelen in der westlichen Architektur?

Hier wie dort geht es in erster Linie um das Streben nach Harmonie, darum, einen Ausgleich zwischen Natur, Mensch und Architektur zu finden.

Macht die Vorgehensweise mit Kompass und Pendel bei uns überhaupt Sinn?

Der Kompass dient der Orientierung, eine Sache, die beim Feng Shui sehr wichtig ist. Doch heute, in unserer modernen Gesellschaft, haben wir andere Methoden.

Die Feng Shui-Regeln sind wohl gleichbedeutend mit dem, was man hier den den Genius Loci, den Geist des Ortes nennt. Hier wie dort geht es um die Bestimmung eines Raumes durch die Menschen, die dort leben, die Natur und ihre Kultur. Nur wenn alle Komponenten berücksichtigt werden, ergibt sich eine Harmonie. Das bedeutet: Die Spandauer Altstadt, die nach vergleichbaren Regeln wie Feng Shui entstand, zeigt eine andere Atmosphäre als die Karl-Marx-Allee im Osten. Folglich muss auch die architektonische Weiterentwicklung beider Orte grundverschieden verlaufen. Die Architektur muss man sich immer wie eine Bühne vorstellen. Jedes neu hinzugefügte Detail ergibt eine neue Struktur. Architektur ist eine Inszenierung, in der der Spielraum natürlich begrenzt wird.

Zurück zum privaten Wohnraum. Was hat es denn nun damit auf sich, wenn unser Feng-Shui-Berater sagt, man soll die Möbel umstellen?

Oft stecken ganz praktische Erwägungen hinter diesen Vorschlägen. So reden wir zwar gelegentlich von „böser Luft“, doch meinen wir ganz einfach, wenn wir unseren Schreibtisch ans Fenster stellen und hinter uns die Zimmertür offen steht, bekommen wir einen steifen Nacken. Feng Shui sagt da: Wenn unser Arbeitsplatz geschützt steht, bekommen wir keinen Zug.

Ob Feng Shui, I-Ging oder Akupunktur – fernöstliche Methoden lassen sich nicht nur gut mystifizieren, sie kommen bei hiesigen Sinnsuchern immer gut an.

Bei uns wird die eigene Wahrnehmung der Dinge stärker akzeptiert. In Europa neigt man normalerweise dazu, nur die wissenschaftlich nachweisbaren Methoden zu akzeptieren. Wenn meine Leber weh tut und mir der Arzt sagt, ich sei nicht krank, dann nehme ich den Schmerz doch trotzdem wahr. In dieser Hinsicht kann hier noch viel gelernt werden.

Interview: Kirsten Niemann