■ Britische Torys, französische Rechte, deutsche Christ- und Sozialdemokraten: In Europa sind alle in der Krise
: Parteiendämmerung

Nun also die deutsche Sozialdemokratie. Als letzte aufgestiegen in den Kreis der europäischen Linksregierungen muss sie bereits jetzt mit bedrohlichen Schwächen kämpfen. Die sind zwar teilweise selbstverschuldet, durch Leichtsinn und durch Ungeschick. Aber vor allem leidet die SPD an einem auffällig raschen Nachlassen ihrer Regierungskraft.

Fast alle Parteien in Europa, egal ob links oder rechts, leiden daran. Einige schaffen es mit Glück, großem Energieaufwand und günstigen Konstellationen, vorübergehend ein paar Dinge fest in die Hand zu kriegen. Die meisten können jedoch schon froh sein, wenn Regierungsmacht für sie darin besteht, sich mit Minimalaktionen für ein paar Jahre über Wasser zu halten. Manchen Parteien gelingt nicht einmal dies. Dann wenden sie sich gegen sich selbst. In diese Falle scheint die deutsche Sozialdemokratie zu geraten.

Den Anfang hatte die britische Tory-Partei gemacht. Nach ihrer Erdrutschniederlage im Frühjahr 1997 ist sie nicht wieder auf die Beine gekommen, vegetiert ohne Ideen, ohne vorzeigbares Personal. Und dies gegen eine Labour-Regierung, die nur das Allernötigste unternimmt, und sich thematisch flach unter der Oberfläche bewegt. Tony Blair hält zwar Regierung, Fraktion und Partei in eiserner Disziplin zuammen – aber nicht einmal er konnte es wagen, sein Team zum fälligen Termin vor den Sommerferien umzubauen.

Kurz darauf folgte die vernichtende Niederlage der französischen Rechtsregierung, die soeben noch im vollen Glanz der Macht gestanden hatte. Noch im März 97 war Frankreich Chirac-Land, Regierung, Parlament, Senat, Regionen – alles unter dem Regiment des Rechtsbündnisses. Die noch völlig erschöpften Mitterand-Sozialisten, die ihrerseits ohne Einfälle und ohne Mut dahinkrochen, schienen chancenlos. Nun, nach den vernichtenden Europa-Wahlen vom Juni, ist Frankreichs Rechte plötzlich wie zerbröselt.

Die deutschen Konservativen sind in keiner viel besseren Lage. Sie halten sich so stumm und klein, dass niemand ihre Impotenz bemerkt. Nicht einmal Opportunismus gelingt ihnen, sie leben allein vom kümmerlichen Lauern auf Fehler der Regierung.

Das Elend der Parteien liegt in ihnen selbst, nämlich in dem Umstand, Parteien sein zu müssen, ohne es zu können. Regieren können sie wohl alle, besser oder schlechter – doch das Parteisein gelingt ihnen nicht. Die Wähler und vor allem die Medien rufen ihnen ständig zu: Macht euch doch endlich ein Profil, schafft euch eine Identität! Wie sonst sollte man wählen? Aber sie schaffen es nicht. Nicht zuletzt weil sie wissen, dass sie es kaum anders machen könnten als die, die zur Zeit gerade in der Regierung sitzen. Das demoralisiert. So beißt man dann gern die eigenen Leute. Das beste Beispiel ist die Selbstzerfetzung der franzöischen Rechten.

Das Wüten gegen sich selbst hat – als Reaktion auf die Ohnmacht zum Regieren – nun auch die deutsche Sozialdemokratie erreicht. Voraussehbar war das schon seit dem Sturz Lafontaines – Kanzler Schröder hat den Beginn des Prozesses nur beschleunigt, unnötigerweise und aus reinem Übermut. Die drei Landtagswahlkämpfe für die Entscheidungen im Herbst werden den Riss gewiss verbreitern. Denn gerade die Regierungstechnik des Laufenlassens, mit der sich Schröder nach den ersten Stolpereien gefangen hat, ist nicht dazu angetan, neue Disziplin herzustellen. Nach den Wahlen, in den schweren Wirtschaftsgewittern im Oktober, wird die SPD arg zugerichtet dastehen.

Schröder verachtet die Parteien, die seine voran. So taten es Schmidt und Kohl, so tut es Blair. Anders als sie jedoch zeigt es der Kanzler allzu deutlich. Wärme will er sowieso nicht verbreiten. So ließ er sich von seinem spin doctor Hombach das überflüssige Blair/Schröder-Papier inszenieren (für das Blair selbst keine Verwendung hat, denn seine Parteilinke reagiert auf derlei nicht mehr). Diese ideenlose Vergangenheitszerstörung einer längst gestorbenen Linken konnte nur zwei Zwecke haben: Zum einen, Jospin und die ohnehin argwöhnische französische Regierung zu reizen – aber mit welcher politischen Absicht? Und, zum zweiten, die Reste der eigenen Parteilinken noch einmal hervorzulocken, um ihr ideologisch aufs Haupt zu schlagen.

Für den parteivorsitzenden Kanzler sind die ungeschickten Reaktionen aus der Partei ein billiger Triumph. Ungeschickt sind die Vokabeln, die vor allem an den Magerbegriff „Gerechtigkeit“ gehängt sind. Er dringt, so sehr das bekümmern mag, nicht mehr ins Gehör, schon gar nicht ins Gehör der Schröder-Wählerschaft. Ungeschickt sind auch die Vorschläge zur symbolischen Gerechtigkeitsverteilung, aktuell die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Die paar Milliarden sind für die Reichen Peanuts, für den Staat ohnehin. Zumal wenn man der Regierung nicht ins Gesicht zu sagen wagt, sie könne nicht und wolle nicht das Vielfache davon beitreiben, das die Reichen an Einkommenssteuer dem Staat hinterziehen. Da schweigen alle Sozialdemokraten diskret.

Es ist das Kreuz der heutigen politischen Klassen in Europa, dass sie noch immer in der Form von Parteien auftreten müssen – wo doch diese Parteien offensichtlich meist nur ihre eigene Verkleidung sind. Wenn sie ans Regieren kommen, müssen sie alle auf die fast gleiche Weise die gleichen Effekte herstellen, wie ihre Vorgänger. Das frustriert die Mitglieder, die ja nicht nur Karrieristen sind, sondern von Überzeugungen leben. Aus dem Stoff dieser Frustrationen wird dann „Links“, „Rechts“ und „Mitte“ konstruiert – Richtungen, die sofort gegenstandslos werden, wenn die Stunde des Regierens naht.

Kanzler Schröder, der Virtuose, profitiert von der Unfähigkeit seiner SPD, Partei zu sein. Aber er ist auch Opfer der von ihm selbst sehr erwünschten Parteischwäche. Leute wie Schröder erziehen ihre Parteien zu Meuten – denn wer sich so verhält, regiert nicht souverän. Man muss schneller laufen, gierig auf Beute sein. Das demonstrierten gerade die sogenannten SPD-Youngsters, denen ihre Partei noch nicht angepasst und kapitalkonformistisch genug ist – Schröder Zöglinge.

Parteien, die Meuten sind, verbrauchen ihre Leittiere schneller als andere. Ohne Hoffnung auf Ämtergewinn geht ihnen bald die Luft aus. Das wird bald auch dem Kanzler passieren. Noch spielen die Medien sein Spiel gegen die blutarme Linke, die verkrusteten Gewerkschaften, die Gerechtigkeitsillusionisten mit. Noch kann Schröder mit deren Verhöhnung Beifall einheimsen. Aber bald wird es nicht mehr so sein – und dummerweise braucht Schröder noch Wähler, die er nun mal nur mit Hilfe seiner schwerfälligen, wehleidigen, verschwitzten und noch immer sozial empfindlichen Partei kriegt. Claus Koch

Schröder zeigt zu deutlich, dass er die Parteien verachtet – seine allen voranNach den Landtagswahlen wird die Sozialdemokratie arg zugerichtet dastehen