Mord und Vertreibung – und alle sehen zu

■  In einem Bericht zur Lage im Kosovo macht Human Rights Watch die UCK für die täglichen Verbrechen gegen Serben und Roma verantwortlich. Aber auch KFOR und UNO täten zu wenig, um die Übergriffe zu verhindern

Berlin (taz) – Auch knapp zwei Monate nach dem Ende des Nato-Krieges gegen Jugoslawien sind Verbrechen wie Morde, Plünderungen, Entführungen und Vertreibungen im Kosovo an der Tagesordnung. Waren vor den Nato-Angriffen Kosovo-Albaner Opfer unvorstellbarer Greueltaten, sind jetzt in der Hauptsache Serben und Roma Zielscheibe von Hass, Rache und Vergeltung.

Allein 164.000 Serben und Roma seien seit der Stationierung der internationalen Friedenstruppe KFOR im Kosovo Mitte Juli aus der südserbischen Provinz geflohen, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der am Dienstag in New York vorgestellt wurde.

Der Bericht stützt sich dabei auf dutzende Interviews, die Mitglieder von Human Rights Watch mit Opfern, Augenzeugen, örtlichen Repräsentanten der Serben und Roma, aber auch mit Vertretern der KFOR und anderer internationaler Organisationen geführt haben.

Die schlimmsten Verbrechen gingen auf das Konto der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK), stellt der Bericht fest. Dabei sei unklar, ob lokale UÇK-Gruppen in Eigenregie oder gemäß einer koordinierten UÇK-Strategie handelten.

So dokumentiert der Bericht neben 29 anderen Fällen den Mord an drei Serben, Radomir Stosic, Steven Stosic und Filip Kosic, die am 19. Juni in dem Dorf Belo Polje, in der Nähe von Pec, mit Kopfschüssen getötet worden waren. Serbische Bewohner hätten einem Repräsentanten von Human Rights Watch berichtet, dass zehn unformierte UÇK-Kämpfer die drei Männer um 5 Uhr 30 morgens hingerichtet hätten. Ein weiterer Serbe, Milco Sosic, sei schwer verletzt worden. Albanische Anwohner hätten gegenüber Journalisten behauptet, die drei Getöteten hätten vorher einer paramilitärischen serbischen Einheit angehört und Häuser von Albanern in der Region niedergebrannt.

Auch Roma, die kollektiv von den Albanern beschuldigt werden, an den Verbrechen der Serben beteiligt gewesen zu sein, würden immer häufiger Opfer von Entführungen, Misshandlungen und Vertreibungen. So berichtet Human Rights Watch vom Fall eines 47-jährigen Rom aus Priština, der, wie hunderte seiner vertriebenen Landsleute auch, in einer Schule in Kosovo Polje Zuflucht gesucht hat. Am 20. Juni wären 15 Männer in Zivil mit Stöcken und Gewehren bewaffnet in sein Haus eingedrungen und hätten ihn unter dem Vorwurf, er habe „Körper verschwinden lassen“, geschlagen. Dann hätten sie ihn entführt. „Sie zerrten mich in ein Auto und brachten mich irgendwohin, für vier oder fünf Tage. Ständig schlugen sie mich. Während dieser Zeit brachten sie auch fünf meiner Freunde an diesen Ort und verprügelten sie. Einen schlugen sie am frühen Morgen, der verschwand dann. Seitdem haben wir von ihm nichts mehr gehört“, zitiert der Bericht den Rom.

Die UÇK weist die Verantwortung zurück

Zwar verweist der Bericht darauf, dass die derzeitigen Exzesse nur vor dem Hintergrund der Verbrechen der Serben gegen die Kosovo-Albaner zu verstehen sei, stellt aber gleichzeitg fest: Ziel dieser Gewalttaten sei es, Angehörige der Minderheiten der Serben und Roma für immer aus dem Kosovo zu vertreiben. Nachdrücklich fordert die Organisation die Führung der UÇK daher dazu auf, bei der Aufklärung der Verbrechen und der Verfolgung der Täter mitzuwirken sowie weitere Verbrechen verhindern zu helfen.

Das dürfte schwierig werden, zumal die UÇK-Spitze die Verantwortung für die Verbrechen weitgehend ablehnt. „Während des Krieges hatte die UÇK alle Möglichkeiten, serbische Zivilisten anzugreifen, aber wir haben das nie getan“, sagt Fatmir Limaj, Ex-UÇK-Kommandeur, Chef der Militärpolizei und jetzt Verteidigungsminister der selbst ernannten Regierung des Kosovo. „Wir haben den Frieden erkämpft und wollen die Zukunft unseres Volkes gestalten, aber nicht auf Kosten anderer Völker. Das war immer die politisch-militärische Philosophie der UÇK.“

Doch die Vorwürfe von Human Rights Watch richten sich nicht nur an die UÇK. Auch mit scharfer Kritik an die Adresse der internationalen Gemeinschaft, repräsentiert durch KFOR und UNO, spart die Organisation nicht. „Die Antwort der KFOR und der Mission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) auf Angriffe gegen die Minderheiten war bislang zögerlich und der Situation nicht angemessen. Die hohe Zahl der Übergriffe gegen Serben und Roma ist ein direkter Ausdruck des Mangels an Polizeikräften sowie Recht und Ordnung im Kosovo.“ Überdies sei zu wenig vorhandes Personal der KFOR verantwortlich für deren Unfähigkeit und Unwillen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Vertrauen zwischen Serben und Roma aufbauen zu helfen, heißt es in dem Bericht.

Auch die Bemühungen ziviler Organisationen wie UNMIK, OSZE und UNHCR, mit einer Ad-hoc-Eingreiftruppe den Schutz für die Minderheiten zu koordinieren, hätten keine Erfolge gezeigt. „Obwohl UNMIK, KFOR und Nato die Angriffe auf Serben und Roma öffentlich verurteilt haben, mangelt es an Entschlossenheit, sich für ein neues, tolerantes Kosovo einzusetzen, in dem die Minderheiten der Serben und Roma ohne Diskriminierung leben können.“

Die Notwendigkeit, weitere Gewalttaten zu verhindern, schließe vor allem die Aufstellung einer internationalen Polizeitruppe ein. Daher fordert Human Rights Watch die Internationale Gemeinschaft auf, unverzüglich die 1.800 zivilen und 1.200 Spezialpolizeikräfte, die die UNO bewilligt hat, auch im Kosovo einzusetzen. „Gerade angesichts der Rechtfertigung der Nato-Intervention, ethnische Säuberungen zu verhindern, ist es das oberste Gebot für die internationale Gemeinschaft, ein multiethnisches Kosovo zu verteidigen.“ Barbara Oertel