Dem Original möglichst nahe kommen

■ Anke Tippmann ist Restaurateurin im Focke-Museum. Sie lässt sich beim Arbeiten über die Schulter schauen

RestauratorInnen sind doch die Leute im weißen Kittel, die mit Stirnlupe und Handschuhen, Skalpell und Pinsel tätig werden und damit alte Gegenstände in Stand halten, oder nicht? Nicht ganz. Weiße Kittel gibt es nicht mehr. Skalpell und Pinsel gehören zwar schon noch zu ihrem Handwerkszeug, aber nicht nur. Der Restaurator an und für sich geht genauso mit Mikroskop, Computer, Hobel, Fotoapparat und Heizanlagen um. An Bildern oder Möbeln rumzudoktorn ist nur eine Aufgabe. Die Verwaltung der Museumsbestände, deren Katalogisierung, die konservatorisch gerechte Gestaltung von Ausstellungen und chemikalische Materialforschung sind ebenfalls tägliche Arbeiten der Leute, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den Museumskatakomben tätig sind

Doch im Focke-Museum soll das jetzt anders werden. Zum Beispiel in dieser Woche kann man der Restaurateurin Anke Tippmann beim Arbeiten auf die Finger gucken und feststellen, wie sich ein 200 Jahre altes Möbelstück unter ihrer Hand langsam – ganz langsam – seinem Originalzustand nähert. Zwischen Laubsäge, Meißel und mobilem Lösungsmittelabzug beizt und pfeilt sie überlagernde Schichten weg und sucht die ursprüngliche.

Doch während früher blind ganze Teile einfach ausgewechselt wurden, heißt heute das Zauberwort „museale Restauration“. Übersetzt bedeutet dieser Teil Museumsethik, möglichst viel Originalsubstanz zu erhalten. Hinter diesem Credo verbirgt sich eine mühsame Fisselarbeit. Kleinste Absplitterungen an den Möbeln werden passgenau ersetzt. Die Maserung des Furnierholzes muss nahtlos fortgeführt werden. Suchen, probieren, suchen, probieren. Eine Plastikbox voller Mahagoni-Furnier ist dabei die Fundgrube. Nach einem guten Vierteljahr Arbeit dürfte der Schreibschrank eines Bremer Meisters unter den Händen Anke Tippmanns dann wieder erstrahlen. Dabei entsteht aber kein neuer Schrank, der alte wird nur konserviert. „Mit der Erneuerung sinkt auch der Wert. Originalität bedeutet Wertsteigerung“, erklärt Tippmann den heutigen Standpunkt.

Manchmal passieren allerdings Überraschungen. Wenn beispielsweise während der Restauration unter einer beschädigten Farbschicht neue Schichten zu Tage treten, die nicht zu dem bisherigen Charakter des Stückes passen. Dann muss das Möbelstück neu klassifiziert werden. Plötzlich hat ein Gegenstand eine neue Geschichte. Das, was gerade noch original war, ist es nun nicht mehr. „Restauration ist auch immer eine Echtheitsuntersuchung“, so Tippmann. Die Restauratorin mutiert zur Detektivin in Sachen Quellenforschung und Kunstgeschichte.

Anke Tippmann greift dabei auf eine typische RestauratorInnen-Karriere zurück. Nach der handwerklichen Ausbildung und einigen Jahren Praktikum in Museumskellern folgte ein Hochschulstudium, bei dem auch das theoretische Wissen vermittelt wurde. Kunst- und Kulturgeschichte genauso wie Chemie, Physik und Klimatologie. Für Möbelrestauration gibt es zwei Hochschulen in Deutschland – mit sieben Plätzen im Jahr. Auch die Plätze in den Kellern der Museen sind begrenzt. „Es gehört ein Haufen Idealismus dazu“, verrät Tippmann.

Und wenn etwas schief läuft? Dann muss die Restauratorin sich eben selbst helfen. Vieles sei aber nicht vorhersehbar. Etwa wenn eine Lackschicht mit außergewöhnlichen Substanzen vermischt wurde und nun beim Ablösen das Holz mit angreift. Vielleicht Folge schlampiger Restaurationen früherer Jahre. Um so etwas in Zukunft zu vermeiden, wird Tippmanns Arbeit per Datenbank erfasst. Das wahre Original wird somit auf ewig nachvollziehbar – bis zur nächsten Neudefinition des Wortes Original. Lukas Heiny

Anke Tippmann arbeitet unter dem Motto „Über die Schulter geguckt“ auch öffentlich. Vorführungen ihres Tuns gibt sie heute, 3. August, sowie am 4., 10 und 11. August von 14 bis 18 Uhr sowie am 5. und 12. August von 9 bis 13 Uhr im Focke-Museum, Schwachhauser Heerstraße 240.