Beim Balkan-Spektakel bleibt Zagreb reserviert

■ Widerwillig macht Kroatiens Präsident seine Aufwartung in Sarajevo und besiegelt einen Grenzvertrag mit Bosnien. Eine regionale Kooperation interessiert das Land kaum

Kroatiens Präsident Franjo Tudjman zeigte auf dem Stabilitätspaktgipfel in Sarajevo deutlich seine Distanz zu der Großveranstaltung. Demonstrativ blieb Tudjman dem regionalen Vorgipfel am Donnerstag fern. Dort klärten die vom Kosovo-Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Balkanstaaten ihre Position gegenüber den westlichen Geberstaaten, die in den kommenden Jahren Aufbauprojekte auf dem Balkan unterstützen wollen. Schon das Wort „Balkan“ störte den Kroatenführer, der beteuert, „der Balkan habe dem kroatischen Volk soviel Leid zugefügt, daß es sich fern sehe von jeder Idee einer balkanischen Kooperation“.

In kroatischen Medien finden sich in diesen Tagen zahlreiche Kommentare, in denen die Politiker in Europa und Amerika heftig kritisiert werden, die angeblich die Probleme des Balkans nicht kennen würden und den Völkern dieser Region „ein Zusammenleben aufzwingen, das es nicht gibt“. So weigert sich Kroatien seit langem, seine Handelsbeziehung nach Süden zu intensivieren, von Wirtschaftskontakten mit Serbien will man erst gar nichts wissen.

Nur unter massiven Druck vor allem aus Deutschland war denn auch Tudjman gestern morgen dazu bereit, kurz vor dem Gipfel einen Vertrag über die „Unantastbarkeit der bosnisch-herzegowinischen Grenzen“ zu unterzeichnen. Der Text zu dem Vertrag lag seit dem Dayton-Abkommen für Bosnien in der Schublade. Ohne Zeremonie und Pressekonferenz setzten gestern Tudjman und sein bosnischer Amtskollege Alija Izetbegovic ihre Unterschrift unter das Papier, während die serbische Seite demonstrativ fern blieb. Ob der Vertrag mit nur zwei Unterschriften rechtsgültig wird, müssen Staatsrechtler entscheiden.

Kroatien hat auch anderen Grund, auf Distanz zu der Balkan-Initiative der westlichen Großmächte zu gehen. Vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag läuft das Verfahren gegen den ehemaligen bosnisch-kroatischen Armeechef Tihomir Blaskic wegen Völkermord an der bosniakischen Bevölkerung in Zentralbosnien 1992.

Anfang der Woche erklärte sogar einer der UNO-Ankläger, Blaskic habe nur „als williges Werkzeug auf Befehl aus Zagreb“ gehandelt. Die Pläne einer Zerschlagung Bosniens habe sich Präsident Franjo Tudjman schon in den 80er Jahren ausgedacht.

Schon wird in Zagreber Zeitungen darüber gerätselt, ob diese Formulierung eine Vorstufe für eine mögliche Anklageerhebung gegen Tudjman selbst sei. Unter seiner Herrschaft kam es zu einem aktiven Eingreifen der kroatischen Armee in Bosnien und zur Vertreibung von über 250.000 Serben in den mehrheitlich serbisch besiedelten Kroatengebieten. Dabei kam es jeweils zu Massakern an Zivilisten – die Tudjman persönlich angelastet werden könnten. Hartnäckig weigert sich Zagreb vertrauliche Akten aus dieser Zeit an das UNO-Tribunal auszuhändigen. Mehr noch: Um sich politisch abzusichern, ernannte Tudjman seinen ältesten Sohn zum Chef des Geheimdienstes, allen Protesten zum Trotz. Karl Gersuny