Betr.: "Schlachtfelder-Rundfahrten im Auto!"

Was bedeutet jenes Gesamtbild von Grauen und Schrecken, das ein Tag in Verdun offenbart, was bedeutet der schauerlichste Schauplatz des blutigen Deliriums, durch das sich die Völker für nichts und wieder nichts jagen ließen, gegen die Sehenswürdigkeit dieser Annonce!

Ist hier die Mission der Presse, zuerst die Menschheit und nachher die Überlebenden auf die Schlachtfelder zu führen, nicht in vorbildlicher Weise vollendet?

Sie erhalten am Morgen Ihre Zeitung.

Sie lesen, wie bequem Ihnen das Überleben gemacht wird.

Sie erfahren, daß anderthalb Millionen Menschen eben dort verbluten mußten, wo Wein und Kaffee und alles andere inbegriffen ist.

Sie haben vor jenen Märtyrern und jenen Toten entschieden den Vorzug einer erstklassigen Verpflegung in der Ville Martyre und am Ravine de la Mort.

Sie fahren im bequemen Personenauto aufs Schlachtfeld, während jene nur im Viehwagen dahingelangt sind.

Sie begreifen, daß das Leiden veranstaltet wurde, damit einmal, wenn von der Glorie nichts geblieben ist als die Pleite, wenigstens ein Schlachtfeld par excellence vorhanden sei.

Sie erfahren, daß es doch Neues an der Front gibt und daß es sich heute dort besser leben läßt als ehedem im Hinterland.

Sie erkennen, daß das, was die Konkurrenz bieten kann, die bloß über die Toten der Argonnen- und Somme-Schlachten, über die Beinhäuser von Reims und St. Mihiel verfügt, eine Bagatelle ist neben der erstklassigen Darbietung der Basler Nachrichten, denen es unzweifelhaft gelingen wird, mit den Verlusten von Verdun ihre Abonnentenliste aufzufüllen.

Sie verstehen, daß das Ziel die Reklamefahrt und diese den Weltkrieg gelohnt hat.

Sie erhalten ein reichliches Frühstück, sobald Sie sich entschließen, dazu auch noch die Schlachtfelder von 1870/71 mitzunehmen, es geht in einem.

Sie erfahren, daß die Staaten, deren Opfer Sie in Krieg und Frieden sind, Ihnen sogar, und das will viel heißen, die Paßformalitäten ersparen, wenn die Reise aufs Schlachtfeld geht und Sie sich nur rechtzeitig bei der Zeitung ein Tikket besorgen.

Sie bekommen unvergeßliche Eindrücke von einer Welt, in der es keinen Quadratzentimeter Oberfläche gibt, der nicht von Granaten und Inseraten durchwühlt wäre.

Und wenn Sie dann noch nicht erkannt haben, daß Sie durch Ihre Geburt in eine Mördergrube geraten sind und daß eine Menschheit, die noch das Blut schändet, das sie vergossen hat, durch und durch aus Schufterei zusammengesetzt ist und daß es vor ihr kein Entrinnen gibt und gegen sie keine Hilfe – dann hol' Sie der Teufel nach einem Schlachtfeld par excellence.

Karl Kraus, 1921

Gekürzte Fassung von „Reklamefahrten zur Hölle“ in: Hans Wollschläger (Hg.), Karl-Kraus-Lesebuch. Suhrkamp Verlag 1987, 410 S., 18,80 DM, Seite 285.