■ III. Wahl
: Prächtiger Zauber

Was läuft eigentlich in den Dritten Programmen zwischen 14 Uhr und 17 Uhr? Zum Beispiel:

„Landpartie zum Nachbarn“, Mo., 14 Uhr, Hessen Fernsehen und Mo., 16.45 Uhr, SWR

Mannheim ist eine dreckige Industriestadt, in der es statt Straßennamen nur öde Nummern gibt. Dieses Klischee zu entkräften, bemüht sich ein 15minütiger Heimatkunde-Beitrag aus der 30teiligen Reihe „Landpartie“ vom Hessen Fernsehen, die im SWR wiederholt wird. Fast zeitgleich erfolgt die Ausstrahlung einer anderen „Landpartie“-Folge über die Stadt Heidelberg, jene architektonische Puppenstube, die bekanntermaßen zu den Topadressen jeder Rundfahrt „Europe in 10 days“ zählt. Das Klischee vom schmutzigen Mannheim wurde glatt widerlegt, aber das Klischee vom Radio mit Bildern um so nachhaltiger bestätigt. Denn da die beiden Folgen über Heidelberg und Mannheim dicht hintereinander ausgestrahlt wurden, verlor sich der Betrachter alsbald in einem verbal-ornamentalen Labyrinth aus „Gängen und Fluren, hinter denen wieder Flure folgten“, ganz wie in dem Spielfilm „Letztes Jahr in Marienbad“. Stuckdecken, Rokoko-Ornamente und gewienerte, menschenleere Rats-säle: als wären wir noch bei der „Tour de France“. Aus welcher der beiden Kurzbeiträge stammt wohl folgender Satz: „Dem Zauber dieses in Jahrhunderten gewachsenen Ensembles aus schlichten Zweckbauten und prächtigen Palastfassaden kann sich wohl niemand entziehen“? Wer ist wohl dieser „Niemand“? Ist es derjenige, der in der Odyssee den Zyklopen blendete oder derjenige, der diese Sendung verfolgt? Trotz unverkennbarem Bemühen um eine liebenswürdige Präsentation haben diese Filmchen stets etwas offizielles, staatstragendes und verkrampft-formelles: Als ob der Landgraf von Würthemberg, die Staufer oder Gott weiß welcher Adlige, der hinter „diesen prächtigen Palastfassaden“ wohnte, noch am Leben wäre - und dem beschaulichen Bilderreigen über seine Stadt zusähe. Geisterfernsehen, fürwahr. Manfred Riepe