Die Abschaffung der langweiligen Bilder

■ Wenn Kinder durch das Museum Weserburg geführt werden, entsteht schnell „geschmissene Kunst“

Die Kinder wuseln aufgeregt durch die Hallen des Museums Weserburg. Vor einem der zeitgenössischen Kunstwerke hat das Gewusel ein Ende. Ungewöhnlich schnell ist es ruhig. Anfangs sehr irritiert schauen sie auf die wirre Farbvielfalt der „Bar“ von Dieter Roth. Doch es gibt kein Murren und Meckern, wie teilweise bei Erwachsenen, die nicht verstehen wollen, warum so etwas im Museum als Kunstwerk zu bewundern ist. Kinder gehen vorbehaltlos an solche Kunstwerke heran. Die Museumspädagogin Ingeborg Schnisa hat in ihrer vierjährigen Tätigkeit noch nie ein Kind fragen hören: „Was soll das im Museum?“

Auch die 26 Fünftklässler aus Bramstedt, die heute eine Führung durch das Museum Weserburg machen, stellen diese Frage nicht. Im Rahmen des Kunstunterrichts kommen Schulklassen jeder Altersstufe ins Museum. Fast jeden Tag eine.

Zeitgenössische Kunst für Kurze? Zu Beginn der Führung fragt Ingeborg Schnisa, ob sie wissen, was das sei, das mit der modernen Kunst. Prompt kommt als Antwort eines Elfjährigen, der seine Freizeit wahrscheinlich mit Videospielen und Zeichentrickfilmen gestaltet: „Die heißt so, weil man da nichts kapiert.“ Aber dies wird sich in den folgenden eineinhalb Stunden Führung ändern. Schnisa entdeckt die Objekte mit den Kindern zusammen. Läßt sie beschreiben, fragt nach Assoziationen.

Bravo, MTV und Viva sind allgegenwärtig. Nicht selten fallen Stichworte wie Videoclip oder Zombie. Die Kinder machen mit. Sind vollkommen konzentriert. Schauen gebannt auf ein abstraktes Mega-Bild voll leuchtender Farben. Probieren durch Augenschließen, welcher Punkt des Bildes ihnen zuerst bewußt wird. Im Mittelpunkt stehen nicht Künstler, Material und Stilrichtung, sondern das konkrete Erlebnis des Kunstwerkes. „Natürlich gibt es Highlights in der Ausstellung, bei denen die Kinder immer besonders konzentriert mitmachen“, erklärt Schnisa, selbst Kunst-, Grundschul- und Klassenlehrerin. Und natürlich führt sie die Fünftklässler nur zu solchen Attraktionen. Zu einem fotorealistischen Bild, zu einer wirren Skulptur, bei der per Knopfdruck musikalische Dissonanzen zu hören sind, zu einem Environment im 60er-Jahre-Stil.

Schließlich werden die Kinder selbst zu KünstlerInnen. Ein auf den Boden gelegtes Tuch ist ihre Gestaltungsfläche. Darauf legen sie eine Reihe von Objekten. Zuerst sehr zurückhaltend. Doch mit der Zeit kommt der Mut, und mit dem Mut die künstlerische Action. Sie verändern die Objekte und bauen Türme, werfen die Gegenstände auf die Leinwand. „Das ist ja geschmissene Kunst“, ruft eine Kleine mit umgedrehtem Baseballcap auf dem Schädel. „Es ist eine Entwicklungsfrage: Je älter die Kinder sind, desto mehr Action veranstalten sie mit den Objekten“, berichtet die Führerin. „Dabei dienen die abstrakten Kunstwerke des Museums als Anschauung. Im Klassenraum wäre das nicht möglich.“

Klassenausflug ins Museum – voll blöd. Die herkömmlichen Museumsausflüge sind zu langweilig. „Ich dachte, jetzt muß ich stundenlang langweilige Bilder angucken. Ich mußte nämlich schon oft ins Museum, aber dies hier war anders. Irgendwie geiler“, sagt eine. Ein anderer: „Gut aber irgendwie komisch.“

Beim Besuch in der Weserburg werden die Kinder selbst aktiv, sind nicht nur Konsumenten. Das macht ihnen sichtlich viel Freude. Die Elfjährigen sind begeistert – nicht alle, aber die meisten. Sie haben die moderne Kunst erlebt. Von wegen die Kunst, bei der man nichts kapiert. Lukas Heiny

Infos und Anmeldungen bei Ingeborg Schnisa im Museum Weserburg Tel.: 59 83 929