Ostler wollen keinen Jammer-Bonus mehr

Die Spardebatte hat die Ostförderung erreicht. Während CDU-Vize Wulff drei Ostländern Verschwendung vorwirft, wird hinter den Kulissen schon an einem bescheideneren Solidarpakt II gearbeitet  ■   Von Nick Reimer

Berlin (taz) – Mit dem Spielball „Ostförderung“ legte der CDU-Bundesvize Christian Wulff am vergangenen Wochenende ein tolles Solo hin. Die neuen Länder gingen schludrig mit den Steuergeldern um, erklärte Wulff der Braunschweiger Zeitung. Das Solo abgeschlossen hat Wulff mit einem flachen Schuß: Besonders in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg – den SPD-regierten Ländern also – „werden jedes Jahr massiv Steuermillionen verschleudert“. Zur Untermauerung seines Wahlkampfbeitrages nannte er auch Beispiele: die „pompöse Landesvertretung“ der Anhaltiner in Berlin oder nicht abgerufene EU-Fördermittel in Brandenburg.

Unverzüglich wurde Wulffs Paß in die Tiefe zurückgeschlagen. „Unerträglich und falsch“ nannte Brandenburgs Regierungssprecher Erhard Thomas Wulffs Vorstoß, „unbegründet und oberflächlich“ kommentierte Mecklenburgs Regierungschef Ringstorff. Selbst Wulffs Parteifreund Thomas Lunacek, Brandenburgs CDU-General, blockte ab: Der Vorwurf sei „in der Sache falsch und unsinnig“. Wulff ruderte gestern zurück: „Es geht nicht um Ost-West-Konflikt, im Gegenteil“, erklärte er der taz. „Der Aufbau Ost hat für die Union weiter hohe Priorität.“

Der Hintergrund des sommerlichen Spiels ist indes hoch brisant. „Wenn der Finanzminister 30 Milliarden sparen will, muß auch der Osten seinen Teil dazu beitragen“, erkannte etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Mathias Schubert, Vorsitzender der „Arbeitsgruppe Angelegenheiten der neuen Länder“. Wichtigste Aufgabe der Gruppe bislang: Probleme im Osten zu benennen, Fördermittel und Zuschüsse zu erkämpfen und zu verteidigen. Angesichts des notwendigen Sparkurses gehören nach Schubert „ohne jedes Tabu“ alle Ostförderprogramme auf den Prüfstein. Stephan Hilsberg, Schuberts Mitstreiter aus Mecklenburg, ist noch drastischer: „In Zukunft darf es keinen Jammerbonus mehr geben.“

Selbst in den Ostländern ist inzwischen die Einsicht gewachsen, daß die Förderung auf dem derzeitigen Niveau nicht unbegrenzt weitergehen kann. Brandenburgs Regierungschef Manfred Stolpe räumt ein, daß zukünftig „genauer hingeschaut werden muß, was der Osten wirklich noch braucht“. Ähnlich sieht das Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Als seine wichtigste Aufgabe der nächsten Legislaturperiode bezeichnet er deshalb die Gestaltung eines Solidarpakts II, der im Jahr 2004 den jetzt gültigen ablösen soll. Die Ost-Ministerpräsidenten beauftragten Thomas de Maizière, die Grundlagen dafür zu erarbeiten. „Es besteht Einigkeit darüber, daß noch in dieser Legislatur der neue Pakt auf den Weg gebracht werden muß“, erklärt Sachsens Regierungssprecher Michael Sagurna. De Maizières Arbeit besteht darin, plausible Zahlen über den Nachholbedarf des Ostens zusammenzutragen. „Einiges, etwa der Strukturausbau von Gesundheitswesen und Telekommunikation, wird bis dahin abgeschlossen sein, der Finanzbedarf deshalb geringer ausfallen.“

Über die derzeitige Förderhöhe gibt es unterschiedliche Zahlen. So berechnen Bundesbank und Bundesfinanzministerium ein Transfervolumen von über 100 Milliarden Mark jährlich. Rolf Schwanitz, Staatsminister für Schröders Chefsache „Aufbau Ost“, ärgert diese Zahl. Sie beinhaltet nämlich auch Titel, die die ganz normalen Verpflichtungen des Bundes gegenüber einem Land darstellen. Das sehen die ostdeutschen Staatskanzleien genauso. Sagurna gegenüber der taz: „In Bayern käme ja auch niemand auf die Idee, Bafög, Wohngeldzuschuß oder Mittel für die dort stationierte Bundeswehr als Haushaltstitel ,Aufbau Bayern‘ zu bezeichnen“. Schwanitz stellt klar, daß trotz der Eichelschen Haushaltskonsolidierung in diesem wie im kommenden Jahr der Finanztransfer nach Osten deutlich über dem Niveau von 1998 liegt – und nicht angetastet werden soll.

Wulffs Vorwurf der Schluderei wird zumindest von offizieller Seite widerlegt. So hatte der Bundesrechnunghof im vergangenen Jahr keine Beanstandung beim Einsatz von Steuergeldern in Ostdeutschland. Behördensprecher Peter Mäurer: Seit 1994 habe es im Osten nicht mehr „Auffälligkeiten“ als im Westen gegeben.