Opium für die Oberstaatsanwältin

■  Für den resoluten Rechtsanwalt Gerd Stübing sollte gestern Schluß mit lustig sein: Vor dem Amtsgericht Tiergarten mußte er sich wegen Beleidigung einer Kontrahentin verantworten. Doch als der Spaß vorbei war, trug die Kosten die Staatskasse

Ein Kind von Traurigkeit ist der knapp zwei Meter große Rechtsanwalt Gerd Stübing nicht. „Wer mich kennt, weiß, daß ich manchmal gar nicht umhin kann, zu scherzen.“ Den 60jährigen, der gestern auf der Anklagebank des Amtsgerichts Tiergarten saß, sollte eine seiner Polemiken teuer zu stehen kommen: Eine Oberstaatsanwältin, die gegen Stübing ermittelte, war offenbar nicht für jeden Spaß zu haben.

Einen Strafbefehl in Höhe von 60 Tagessätzen à 250 Mark hatte das Gericht wegen Beleidigung und übler Nachrede verhängt. Stübing legte Widerspruch ein. Gestern nun mußte das Gericht entscheiden.

Die Oberstaatsanwältin, die gegen Stübing wegen Parteienverrats ermittelte, hatte dem Anwalt in einem Schriftsatz „uneingeschränktes Gewinnstreben“ vorgeworfen. Stübing sah darin eine „unglaubliche Frechheit“ – und verfaßte eine Antwort, die sich gewaschen hatte. Darin bescheinigte er seiner Kontrahentin, wegen ihrer „hervorragenden juristischen Kenntnisse schon nach knapp 30jähriger Dienstzeit“ zur Oberstaatsanwältin befördert worden zu sein. Üblich ist eine Ernennung bereits nach zehn Jahren. Außerdem sei die für Rauschgiftverfahren zuständige Staatsanwältin „konsequente Benutzerin des Parfüms Opium von Yves Saint-Laurent“, spottete er.

Die Staatsanwaltschaft wertete diese Äußerungen als Beleidigung und üble Nachrede. Die Äußerungen hätten mit dem behandelten Sachverhalt nichts mehr zu tun.

Im Verlauf der Verhandlung stellte sich allerdings heraus, daß die Oberstaatsanwältin selbst sich überhaupt nicht beleidigt gefühlt hatte. Verantwortlich für den Strafantrag war Generalstaatsanwalt Hans-Jürgen Karge, der sich ansonsten über die Überlastung der Staatsanwaltschaft zu beklagen pflegt.

Gerd Stübing verfolgte den Prozeß mit Gelassenheit. „Der zuständige Staatsanwalt muß in der Schule bei den Themen Ironie und Satire gefehlt haben.“ Sein Verteidiger, Sohn Jan Stübing, sagte in seinem Plädoyer, der Gegenstand der Verhandlung sei „mehr für ein Theaterstück geeignet“. Sein Vater ergänzte vor der Urteilsverkündung trotzig: „Ich werde auch in Zukunft nicht auf Ironie verzichten.“

Das muß Stübing vorerst auch nicht. Die Richterin sprach ihn nach kurzer Unterbrechung frei. Zwar seien die Äußerungen in den Augen des Gerichts beleidigend. Allerdings bescheinigte sie Stübing, „ganz am Schluß noch einmal die Kurve gekriegt“ zu haben. Ein Bezug zum Gegenstand der Auseinandersetzung sei nicht abzustreiten. Ausschlaggebend für die Entscheidung war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar. Demnach habe das Grundrecht auf Meinungsfreiheit weitgehend Vorrang vor persönlichem Ehrenschutz.

Der Rechtsanwalt war erst im Mai zu vier Tagen Ordnungshaft verdonnert worden. Während einer Verhandlung hatte er ausgerufen: „Ich habe noch nie einen dermaßen bescheuerten und beschissenen Prozeß erlebt.“

Überrascht war Stübing von dem Freispruch nicht. „Eigentlich ist das Geschäftsgebaren der Staatsanwaltschaft ein Fall für den Landesrechnungshof.“ Die Kosten des Prozesses trägt die Staatskasse. Andreas Spannbauer