Chinas Reformkräfte geraten unter Druck

■ Die KP-Führung fühlt sich nicht nur von Falun Gong bedroht, sondern streitet auch intern über den Kurs. Premier Zhu Rhongji muß mit einer Machteinschränkung rechnen

Mit dem Vorgehen gegen Falun Gong zeigt Chinas Führung eine Entschlossenheit, zu der sie auf anderen Politikfeldern momentan kaum in der Lage ist. So konnte die jüngste Taiwan-Krise für die KP-Führung, die zur Zeit hinter verschlossenen Türen tagt, kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Denn die von Taiwans Präsident Lee Tenghui ausgelöste Krise verschärft den Richtungsstreit in Peking und erhöht den Druck auf die Reformkräfte. Staats- und Parteichef Jiang Zemin will wegen des Taiwan-Konflikts die angespannten Beziehungen zu den USA nicht noch weiter belasten. Doch insbesondere Chinas Generäle pochen auf Maßnahmen gegen die „Separatisten“ in Taiwan. Die Hardliner fordern auch in den umstrittenen Gewässern des Südchinesischen Meeres, wo die philippinische Marine erneut zwei chinesische Kutter versenkte, eine Machtdemonstration. Gerade das aber will der prowestliche Reformflügel vermeiden.

Auch in der Innenpolitik brodelt es. Vor kurzem berichtete die Zeitung Yangcheng Wanbao aus dem südchinesischen Guangzhou (Kanton) über die Reform der Staatsbetriebe. Doch am Tag darauf zog die Zeitung den Artikel über die Unternehmensreform zurück. Die Redaktion entschuldigte sich, ihre Leser medial „fehlgeleitet“ zu haben. Der Grund: Der Artikel hatte nicht nur dafür plädiert, kleine und mittlere Staatsbetriebe zu privatisieren, wie dies der KP-Parteitag 1997 beschlossen hatte. Vielmehr forderte der Artikel, auch staatliche Großbetriebe zu privatisieren. Das ist aber durch keinen Beschluß gedeckt.

Als Begleitmusik für den Richtungsstreit liefern sich hochrangige Berater der jeweiligen Parteiflügel eine Expertenschlacht in den Medien. Momentan sind die Chefökonomen des Kabinetts von Premier Zhu Rhongji in der Offensive, nachdem der als Wirtschaftszar titulierte Zhu in den letzten Wochen wegen seiner neoliberalen Reformpolitik und seiner Nachgiebigkeit gegenüber den USA in Handelsfragen stark in die Kritik geraten war. Vor zwei Wochen kursierten sogar erstmals Gerüchte über eine mögliche Absetzung Zhus, worauf die Kurse an den Börsen in Shanghai und Shenzhen nachgaben.

Im Mittelpunkt des Konflikts steht die gesamte Wirtschaftsreform. Für den Ökonom Fan Gang ist der Verkauf von Staatsbetrieben unumgänglich, obwohl das Zentralkomitee den entsprechenden Parteibeschluß im letzten Jahr ausdrücklich aussetzte. Ohne auf die mit der Privatisierung verbundene Massenarbeitslosigkeit einzugehen, legte der ranghohe Berater des Staatsrates dar, daß viele Staatsunternehmen ohnehin nicht mehr zu retten seien. Sie müßten unter Wert verkauft werden.

Das wird allerdings bisher rechtlich als „Diebstahl am Staatsvermögen“ geahndet. Rechtskonformität ist die Waffe, mit der das konservative Lager zurückschlägt. Seine Experten verweisen darauf, daß weder die Verfassung noch das Gesetz zum Schutz des Staatsvermögens vom 1994 den Ausverkauf des Staatseigentums erlauben. Zudem übe der Nationale Volkskongreß – das Scheinparlament unter dem marxistisch-orthodoxen Politiker Li Peng – rechtlichen Druck auf Zhus Kabinett aus. Dessen Politik der Staatsverschuldung, die das rechtlich zulässige Maß überschreiten wollte, erhielt einen Dämpfer. Statt wie geplant um 360 Milliarden Yuan (72 Milliarden Mark), darf sich die Regierung dieses Jahr nur noch um rund 200 Mrd. neuverschulden.

Die marxistischen Linken kritisieren auch die Außenwirtschaftspolitik: Niemals dürfe Chinas Schicksal in die Hände westlicher Kapitalisten und Imperialisten gelegt werden. Weder durch außenpolitisches „Betteln um Hilfe“, wie dies Zhu bei seinem USA-Besuch Anfang April kurz nach Beginn des Kosovo-Krieges getan habe, noch durch die Verpflichtung Chinas auf Spielregeln wie die der Welthandelsorganisation (WTO). Mit großem Enthusiasmus rufen Wissenschaftler und politische Berater zum nationalen Kampf gegen ausländische Giganten wie den US-Softwarekonzern Microsoft auf.

Der „Nationale Kampf“ zeigte schnell Wirkung. Obwohl nach glaubhaften Informationen Zhu bei seinem USA-Besuch im Falle von Chinas WTO-Beitritt die Öffnung der chinesischen Telekommunikationsmärkte um bis zu 40 Prozent versprochen hatte, bietet Pekings Außenhandelsministerium jetzt unter Druck der Hardliner wieder die altbekannten 25 Prozent an. Um seine Außenwirtschaftspolitik vor weiteren Angriffen konservativer Medien zu schützen, werden die Vereinbarungen mit Japan über die Modalitäten zum WTO-Beitritt nun streng geheimgehalten.

Der Richtungsstreit verschärft auch den Machtkampf unter den drei KP-Führern: Parteichef Jiang Zemin, Li Peng als Nummer zwei und Zhu Rhongji als Nummer drei. Zwar wurden die Gerüchte über einen Rücktritt Zhus auch mit einem gemeinsamen Fernsehauftritt mit Jiang dementiert. Doch Zhu schweigt seit seinem USA-Besuch über die Wirtschaftspolitik, seinen Machtbereich. Über Zhus Lieblingsthemen wie die Unternehmensreform spricht hingegen Jiang. Li Peng äußert sich immer deutlicher zur Außenpolitik. Der von ihm geleitete Volkskongreß nimmt – meist noch vor dem Außenministerium – zu allem Stellung, sei es Kosovo, Korea oder Taiwan. All dies könnte auf eine neue Machtverteilung hindeuten. Dabei dürfte Zhu am meisten verlieren. Shi Ming