Rugova ins Boot holen

Der von der UN ins Leben gerufene „Übergangsrat“ soll Albaner und Serben im Kosovo zusammenbringen  ■   Aus Pristina Thomas Schmid

Bernard Kouchner, der neue Chef der UN-Kommission fürs Kosovo (Unmik), weiß offenbar, daß im Kosovo jeder Tag zählt. Denn jeden Tag gehen Häuser in Flammen auf und wird irgendwo in der Provinz irgendwer erschossen oder entführt. Am Donnerstag flog der Franzose nach Priština, um sein neues Amt anzutreten, am Freitag schon präsentierte er einen aus albanischen und serbischen Kosovaren zusammengesetzten „Übergangsrrat“.

Die Herstellung der öffentlichen Sicherheit – die Voraussetzung für die Befriedung der Provinz – ist Kouchners vorrangiges Anliegen. Der neue Übergangsrat hat zunächst eine beratende Funktion, soll aber offensichtlich auch eine Vermittlungsinstanz zwischen der UN-Administration und der kosovarischen Bevölkerung sein. Und der Interimsrat beschloß auch bereits, eine Delegation zu den Unruheherden des Kosovo zu entsenden.

Allerdings blieben schon bei der ersten Sitzung des neuen Gremiums zwei Stühle leer. Die LDK, die Partei des 1992 und 1998 gewählten Präsidenten Ibrahim Rugova, die stärkste politische Kraft des Landes, nahm die beiden Sitze nicht ein, die Kouchner ihr zugedacht hatte.

Damit klärte sich auch das neueste Rätsel, das Rugova der Öffentlichkeit aufgegeben hatte. Am Donnerstag mittag war er wenige Stunden vor der Ankunft Kouchners aus seinem Exil zurückgekehrt, aber noch am Abend wieder ins Ausland entschwunden. Offenbar war er politisch verschnupft. Nur zwei Sitze für seine Partei im Übergangsrat reichten ihm nicht.

Dem neuen Organ, in das die UÇK, die LBD (eine Partei, die in Opposition zu Rugovas LDK steht), die unabhängigen Intellektuellen und die serbische Minderheit je zwei Vertreter schicken, gehören unter anderem der UÇK-Chef Hashim Thaci, der Schriftsteller Rexhep Xhosja für die LBD, der unabhängige Verleger Veton Surroi, der orthodoxe Bischof von Prizren, Artemije, sowie Momcilo Trajkovic, der Führer des „Serbischen Widerstandsrats“, an.

Thaci, Xhosja und Surroi hatten die albanische Seite schon bei den Verhandlungen in Rambouillet vertreten. Artemije und Trajkovic stehen beide seit langem in Opposition zu Miloševic und in Kontakt zur Opposition in Belgrad. Vor allem Artemije hat sich in letzter Zeit immer wieder für eine Aussöhnung zwischen Albanern und Serben ausgesprochen.

Trajkovic, von Miloševic einst zum Vizepremier Jugoslawiens erkoren, dann aber wieder fallengelassen, hat unter den Serben des Kosovo, die in ihrer Mehrheit die Parteien Miloševic' und Šešeljs, des rechtsradikalen Serbenführers, wählten, nur geringen Anhang. Doch könnte sich dies nun ändern.

Ibrahim Rugova hatte offenbar gefordert, alle Parteien, also auch politisch bedeutungslose Kleinparteien wie die Christdemokraten, die Liberalen und die Sozialdemokraten, am Übergangsrat zu beiteiligen, um das Gewicht der UÇK zu schmälern.

In der reduzierten Achtergruppe nehmen nun diejenigen Kräfte, die vor einiger Zeit im Kosovo unter „Ministerpräsident“ Thaci eine neue „Regierung“ gebildet haben, die UÇK und die LBD, über die Hälfte der Sitze ein.

Kouchner hat bereits angekündigt, daß sich an der Zusammensetzung des Gremiums noch etwas ändern könne. Ihm ist offenbar sehr daran gelegen, Rugova für die Mitarbeit zu gewinnen. Der Präsident, so wird hier gemunkelt, sei heute oder morgen wieder im Kosovo zurück.

Als erste Aufgabe soll der Übergangsrat eine gemischte Kommission bilden, um die Spannungen zwischen Albanern und Serben abzubauen. Sie soll auch den Menschen zu ihrem Recht verhelfen, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Vor allem in der geteilten Stadt Mitrovica getrauen sich weder Albaner noch Serben in ihre Häuser zurück, sofern diese in einem Stadtteil liegen, der nicht von der eigenen Volksgruppe kontrollliert wird.

„Kosovo hat zwei Perspektiven“, sagt Bruder Sava, der Sekretär von Bischof Artemije, „die Perspektive der Gewalt, die in die Vergangenheit führt, und die Perspektive des zivilen Zusammenlebens, die nach Europa und in die Zukunft führt.“ Der Mönch ist weithin geachtet. Während die serbischen Streitkräfte unter den Nato-Bomben die Provinz „ethnisch säuberten“, hatte er 150 Albanern in seinem Kloster bei Decani Zuflucht gewährt.