Im Süden nichts Neues

Kenianische Experten hatten bei der Diskussion des UN-Entwicklungsberichts weder eine Analyse der Bedingungen noch eine Lösung parat  ■   Aus Eldoret Peter Böhm

War das wirklich alles? Da hatte das UN-Entwicklungsprogramm/Kenia (UNDP) gestern an die Moi-Universität in Eldoret im Westen des Landes geladen, um seinen jährlichen Bericht über menschliche Entwicklung vorzustellen. Fünf Experten saßen auf dem Podium und sollten sich den Fragen der und der Diskussion mit den Studenten stellen. Und dann geriet die Veranstaltung den Dozenten nur zum Anlaß, sich gespreizt zu präsentieren.

Über die Feststellung, daß Afrika in der Welt irgendwie marginalisiert werde, kam eigentlich keiner der Diskutanten hinaus. Und die angebotenen Lösungen – etwa die Fonds zu stärken, um den Preisverfall auf dem Weltmarkt für Rohstoffe zu kompensieren – illustrierten die Hilflosigkeit, die in dieser Frage herrscht – keiner weiß, was tun.

Die Botschaft, die der UNDP-Bericht über die weltwirtschaftliche Entwicklung seit seiner ersten Veröffentlichung vor zehn Jahren verbreitet, war eigentlich immer die gleiche: Die Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt wird immer größer. 1960 betrug das Verhältnis zwischen dem Einkommen des Fünftels der Menschen, die in den Industrieländern leben, und den 20 Prozent der ärmsten Bevölkerung in den Entwicklungsländern 30:1. Nach dem jüngsten Bericht hat es sich 1997 auf 74:1 mehr als verdoppelt.

Dies setzt eine Entwicklung von fast 200 Jahren fort: 1820 stand es noch 3:1, 1913 war das Verhältnis schon 11:1). Die Bevölkerung Großbritanniens zum Beispiel erreichte 1820 schon ein durchschnittliches Einkommen, das das der Menschen in Äthiopien im Jahre 1992 um das Sechsfache überstieg.

Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, denn innerhalb dieses groben Rasters gab es widersprüchliche Trends. „In Süd-Ost-Asien ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen heute sieben Mal größer als 1960“, heißt es in dem aktuellen Report, „und dreimal größer als 1980. Aber im subsaharischen Afrika und anderen am wenigsten entwickelten Ländern ist das Pro-Kopf-Einkommen niedriger als 1970.“ Die letzten 22 Ränge auf der Liste werden von afrikanischen Ländern eingenommen.

Symptomatisch ist, wie die Diskussionsrunde auf diese Abkopplung Afrikas vom Rest der Welt reagierte: Sie wurde gar nicht erst erwähnt. Die Frage des Berichterstatters, was der Grund für die Kluft sei, ob und was Afrika denn vielleicht von Süd-Ost-Asien lernen könne, hatte nur eisiges Schweigen zur Folge.

„Malaysia zum Beispiel“, versuchte der Politologe und Kolumnist der Wochenzeitung The East African, John Githongo, die Situation zu retten, „hatte nach der Unabhängigkeit ein bedeutend geringeres Pro-Kopf-Einkommen als Kenia. Heute ist es rund achtmal so hoch.“ Woran das liegt? „An der Korruption, der schlechten Regierung, an der Unbildung.“

Daß dann doch noch eine Diskussion über diese Frage zustande kam, zeigt, daß in Afrika eine Entwicklung begonnen hat. Ein Student stand auf und sagte: „Ich glaube, es liegt daran, daß sich in Süd-Ost-Asien eine Nationalkultur des Wettbewerbs und des Perfektionismus durchgesetzt hat.“ Früher wären solche selbstkritischen Töne und dazu von einem Studenten wohl kaum möglich gewesen.

Auch auf dem Gipfel der Afrikanischen Einheit (OAU) in dieser Woche in Algier war etwas ähnlich Ungewöhnliches geschehen, wenn nicht sogar Ungehöriges. Der frischgewählte südafrikanische Präsident Thabo Mbeki kritisierte seine Kollegen und bezichtigte sie – wenn auch indirekt – der Heuchelei. In der Tradition des Antikolonialismus der OUA war eines ihrer sakrosankten Prinzipien die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder gewesen. Der Antrag, die Globalisierung in einer Resolution als „grundlegend mangelhaft“ zu bezeichnen, provozierte jedoch den Ärger Mbekis. Er sagte, „daß nur Appelle der Habenichtse an die Habenden uns nicht weiterbringen werden“. Und er riet den afrikanischen Staatschefs, sich „ein grundlegendes ökonomisches Wissen anzueignen“. Jene Führer machten ihn ungeduldig, fuhr er fort, die sich nur darüber beschwerten, daß die Globalisierung an Afrika vorbeigehe, gleichzeitig aber selbst wenig täten, um die 1991 im nigerianischen Abuja beschlossenen Maßnahmen zur Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft Afrika zu implementieren. Er wies darauf hin, daß nur vier von 52 OAU-Mitgliedsländern kürzlich an einem Treffen zur Implementierung des Vertrages teilgenommen haben.