Japan geht erstmalig gegen Kinderpornographie vor

■ Nachdem Japans Regierung jahrelang untätig war, will sie jetzt mit einem Gesetz gegen die weitverbreitete Kinderpornographie und die wachsende Kinderprostitution vorgehen

Tokio (taz) – 80 Prozent der Internetseiten mit pornographischen Darstellungen von Kindern stammen laut Interpol aus Japan. Doch erst seit kurzem geht die Regierung in Tokio gegen Nippons Ruf als weltweites Zentrum der Kinderpornographie vor. Mitte Mai verabschiedete das Unterhaus ein neues Jugendschutzgesetz, das im Herbst in Kraft treten soll. Es stellt erstmals das Geschäft mit der Kinderpornographie und die Kinderprostitution unter Strafe.

Einer der ersten Kämpfer gegen Kinderpornographie in Japan war Yutaka Iimori von den Cyber Angels in Tokio. Bei einer Computerpräsentation loggt er sich ins Internet ein, lädt die japanische Suchmaschine Yahoo und tippt „lolita.co.jp“ ein. Eine endlos scheinende Liste von Internetadressen erscheint. Iimori klickt ein zweites Mal, ein Schulmädchen in Seemannsuniform, noch ein Klick, dann erscheint eine etwa 13jährige nackte Schülerin auf dem Bildschirm. Drei Klicks weiter beginnen Hardcore-Darstellungen. „Kinderpornographie aus unserem Land ist eine Schande“, sagt Iimori. Seit zwei Jahren suchen die Cyber Angels japanische Internetseiten nach Kinderpornographie ab und haben bisher über 1.000 Web-Seiten gefunden.

Japanische Politiker kümmerte dieser Aspekt der Kinderpornographie bis vor kurzem wenig. Sie wehrten sich trotz des internationalen Drucks von Menschenrechtsorganisationen und Interpol mit dem Verweis auf die freie Meinungsäußerung gegen eine Zensur. Japan unterzeichnete zwar schon 1994 die Internationale Konvention für Kinderrechte, wollte aber die eigenen Gesetze bisher nicht anpassen. „Es ist beschämend. Jeder, der Kinderpornos kaufen, verkaufen oder produzieren wollte, kam in unser Land“, sagt die Abgeordnete der Regierungspartei LDP, Mayumi Moriyama, die das neue Judendschutzgesetz mit ausarbeitete.

Demach sollen „bezahlte“ sexuelle Handlungen mit Kindern unter 17 Jahren mit einer Buße von umgerechnet 15.000 Mark oder Haft bis zu drei Jahren bestraft werden. Wer Kinderpornographie vertreibt, produziert oder Kinder zur Prostituion zwingt, muß mit einer ebenfalls dreijährigen Haft oder Buße bis zu 45.000 Mark rechnen.

Obwohl internationaler Druck die Diskussion über Kinderrechte in Japan auszulösen vermochte, war es die Zunahme der Schülerprostitution, die zur neuen Gesetzgebung führte. Unter der Bezeichnung „enjo kosai“ – bezahlte Partnertreffen – sind mit Handys ausgerüstete Oberschülerinnen gegen Bezahlung älteren Männern zu Diensten. Bei einem gemeinsamen Besuch in einem teuren Restaurant oder einem Karaoke-Salon kassieren die Schülerinnen bis zu 350 Mark. Endet das Treffen gar in einem Lovehotel, dann blättern Freier dafür bis zu 700 Mark auf den Tisch.

Im Zuge der Rezession hat sich das Alter der Schülerinnen aber deutlich gesenkt. Heute werden in einschlägigen Vierteln Tokios wie Ikebukuro bereits zwölfjährige Schülerinnen auf offener Straße von älteren Männern angemacht. Das „Lolita-Gewerbe“ mobilisierte auch die japanische Mafia. Schick angezogene junge Werber versuchen Schulmädchen zu „Modeaufnahmen“ in einem nahen Studio zu überzeugen. „Mir wurden schon mal 1.500 Mark für Nacktaufnahmen geboten“, erklärt die 12jährige Yuki, deren Schulweg durch das Viertel führt.

Die Obsession für junge Mädchen ist in Japan omnipräsent. In Zügen lesen Männer ohne Scheu pornographische Comics, Fernsehshows mit leichtbeschürzten Mädchen sind schon im Vorabendprogramm der privaten Stationen zu finden, und in Buchläden liegen Pornohefte nur wenige Meter entfernt von Märchenbüchern für Kinder. Angesichts der chronisch überlasteten Gerichte wird es wahrscheinlich noch Jahre dauern, bis das neue Gesetz greift.

André Kunz