Das wummernde Rückgrat macht Werbung

■ Unter den 50 Trucks der Love Parade wollen heute von katholischer Jugendgruppe über Junge Union bis zur Trachtengruppe aus dem Westerwald spießbürgerliche „Exoten“ PR-Punkte sammeln

„Sie entstand im OP“, erklärt Anästhesist Georg Gall, die Idee zur „Love Ambulance“. Das Berliner Krankenhaus Moabit, durch Reformen akut schließungsbedroht, sorgte mit seinem ausstaffierten 18-Meter-Sattelschlepper für die Love Parade nicht nur in Berlin für immenses Medieninteresse. Eine „gelungene Gegenpropaganda“ – auch Aufmunterung für die eigenen Mitarbeiter – erhofft sich Geschäftsführerin Helga Lachmund vom nun anstehenden Klinik-Rave der freizügigen „Techno Nurses“ und flippigen „Cyber Docs“. „Aber“, gibt sie sich nüchtern, „die Jugendlichen werden wir für unsere Problematik wohl kaum sensibilisieren.“

Unter den Betreibern der rund 50 Wagen, die heute das mobile wummernde Rückgrat des Techno-Aufzugs bilden, sind in diesem Jahr nicht Clubs und Plattenlabels, sondern bürgerlich-brave Institutionen die „Exoten“: von katholischer Jugendgruppe über Partei- und Gewerkschaftsorganisationen und ein Krankenhaus bis hin zu Sport- und Trachtengruppen aus dem Westerwald. Die längst der Subkultur entflohene Love Parade wird zum Jahrmarkt – und zur Freiluftmesse – der nach PR trachtenden Gruppen und Vereine. Warum auch nicht, „Botschaften“ versenden schließlich auch die kommerziellen „Partner“ von Ralf Regitz & Co, wenn auch ungleich penetranter.

„Bei unserem ersten Auftritt wollten wir nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen“, meint Jugendpfleger Andreas Lammel doppeldeutig. Denn eigentlich wollte seine katholische Jugendgruppe aus Kelheim heute mit einem selbstgezimmerten rollenden Gotteshaus am Love-Parade-Start stehen. Doch wegen der strengen Höhenvorgaben des Veranstalters Planetcom ließ man die Kirche im Dorf. Als Deko auf dem Laster nun also – Sonnenblumen. Nicht gerade neu, aber immerhin „ein gemeinsamer Nenner von Schöpfung und Love Parade“, wie Lammel meint. Denn der religiöse Aspekt der kollektiven musikalischen Entrückung kam dem Jugendpfleger bislang zu kurz, „obwohl er naheliegt.“

Und nicht nur bei den politischen Gruppierungen stellt man lieber den positiven PR-Effekt und die Imageförderung über die „Message“. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) etwa „soll nicht nur im Arbeitsleben helfen, sondern auch Spaß machen“, hofft man per Raketen-Truck und Live-Webcams den Ravern vermitteln zu können.

Etwas bodenständiger sind die Jungen Liberalen mit blau-gelbem US-Schulbus dabei. „Es geht nicht um einen tagespolitischen Anspruch, sondern um Grundsätze des Zusammenlebens“, erläutert ihr Bundesvorsitzender Daniel Bahr seine Auffassung vom Democharakter der Love Parade. Mit „Keep the chances“ reihen sich die Julis nun ein. Motto hier, Motto da. Der Jungen Union bleiben hoch auf dem pechschwarzen Wagen ebenfalls nur Wortspiele: „JU are the key“. Nach Vorgabe der Planetcom dürfen politische Parolen oder Parteiwerbung nicht vorkommen.

„Die Love Parade ist der falsche Ort, um irgendwelche politischen Botschaften zu vermitteln“, begründen die Jusos ihre Entscheidung, in diesem Jahr nicht teilzunehmen. Mit der Begründung „in einen Zug, der sich dazu bekennt, nichts zu bekennen, reihen wir uns nicht ein“, zog auch die IG-Metall-Jugend bereits im Vorfeld ihren geplanten Wagen wieder zurück, hatte man damals doch noch einen Aufruf gegen den Krieg im Kosovo mit unterbringen wollen.

„Die Love Parade ist nicht gegen, sondern nur für etwas“, hieß es dazu lapidar bei der ablehnenden Planetcom, wo man sich eben nicht über jede Idee freut. Wenig begeistert etwa ist die Planetcom über das Vorhaben des Berliner Pornofilmers Rolf Schmidt, auf der Liebesparade einen Hardcore-Streifen zu drehen. „Eine totale Schweinerei“, so Mitarbeiterin Barbara Hallama, „wir werden das mit allen Mitteln zu verhindern versuchen.“ Christoph Rasch